: Sprachlabor Theaterbühne
■ Zweisprachiges Theater im Flughafen Tempelhof eröffnet – Inszenierungen gleich im Doppelpack: Irgendwie erhellend, aber doch auch anstrengend
Ein kurzer Willkommensgruß in Richtung Publikum, ein knapper Dank an die Kollegen – vielleicht lag's an der Aufregung, daß die Rede von Boris von Emdé anläßlich der Einweihung seines „Goethe-Theaters“ am vergangenen Freitag abend ein wenig kurz ausfiel. Aber schließlich eröffnet man nicht alle Tage ein neues Theater, nicht im „kulturbrennenden“ Berlin, und schon gar nicht in Tempelhof. Genauer: im Flughafen Tempelhof, was das jüngste Privattheater der Stadt übrigens auch auf den etwas albernen Beinamen Fly & Dream gebracht hat.
Boris von Emdé ist ein alter Hase in Sachen sogenanntes Off- Theater. 1975 gründete der ehemalige Tänzer des bayerischen Staatsballetts das „Theater am Einlaß“ in München, ging zehn Jahre später nach Frankfurt/Main, um dort das erste „Goethe-Theater“ aus der Taufe zu heben. Nun lockte, pünktlich zum 50. Geburtstag des Sprosses eines uralten Adelsgeschlechts, die Hauptstadt. Und zumindest für die Premiere hat sich von Emdé etwas Besonderes einfallen lassen: die Inszenierung im Doppelpack, zwei Aufführungen zum Preis von eineinhalb (30 Mark!), zuerst die deutsche, dann die französische Fassung von Marguerite Duras „Englischer Geliebter“ im direkten Vergleich zweier unterschiedlicher Inszenierungen.
Das nach dem gleichnamigen Roman von 1967 entstandene Stück basiert auf einem authentischen Fall, der Mitte der sechziger Jahre die französische Öffentlichkeit erregte: an den verschiedensten Orten des Landes werden in Güterzügen Teile einer weiblichen Leiche gefunden. In akribischer Kleinarbeit entdeckt die Polizei, daß die Züge, in denen sich die Überreste der Getöteten gefunden haben, auf ihren Fahrten alle einen bestimmten Punkt passiert haben: das Städtchen Viorne in der Nähe von Paris, Département Seine et Oise, 2.500 Einwohner. Kaum daß dort die Ermittlungsbeamten aufgetaucht sind, stellt sich die Mörderin. Es ist Claire Lannes, 51, seit 20 Jahren in Viorne ansässig, bisher unauffällig und, wie man so sagt, „unbescholten“. Sie hat ihre taubstumme Cousine mit der Axt erschlagen und anschließend zerhackt. Die Handlung setzt ein, als eigentlich schon alles vorbei ist. Ein „Befrager“ (in der ersten, deutschen Version Jürgen Eilzer, der fatal an Herbert Grönemeyer erinnert) versucht, hinter den Sinn des Verbrechens zu kommen. Zuerst nimmt er sich den Ehemann der Mörderin vor, einen mittleren Beamten im Finanzministerium. Christian Bleyhoeffer verleiht ihm mit knappen Gesten all die bornierte Selbstzufriedenheit eines gutsituierten Bürgers. Nach und nach stellt sich heraus, daß die Geschichte der Claire Lannes (Veronika Nowag) die Geschichte einer tödlichen Sprach- und Lieblosigkeit ist, die irgendwann in einem scheinbar sinnlosen Akt der Gewalt münden mußte.
Daß man den herben Charme eines Offizierskasinos, der dem etwa 100 Zuschauer fassenden Goethe-Theater anhaftet, sehr wohl effektiv nutzen kann, beweist die zweite, die französische Inszenierung. Jef Bay aus Paris hat zu Gunsten einer kühlen, artifiziell wirkenden Regie auf die psychologischen Feinheiten verzichtet, die Jan Reffei in seiner deutschen Fassung herausarbeitet hat. Lediglich Elisabeth Berwart (die andere Claire) will man ein zwanzigjähriges Martyrium der Gleichgültigkeit abnehmen.
Zweimal dasselbe Stück hintereinander in zwei verschiedenen Fassungen und Inszenierungen zu sehen ist erhellend und ungewöhnlich, aber auch ziemlich anstrengend. Ob dabei, wie vorgesehen, aussagekräftige Feststellungen über die Unterschiede zweier Theaternationen herauskommen, sei hier eher bezweifelt. Dazu hängt Theater doch zu sehr von der jeweiligen Regiepersönlichkeit ab. Doch will Boris von Emdé vor allem auch ein Publikum anziehen, das einfach mal seine Sprachkenntnisse auffrischen möchte. Bei den Möglichkeiten des Goethe- Theaters ist eine Steigerung dieses Anspruchs schon noch denkbar. Ulrich Clewing
Voraussichtlich bis Mitte April täglich dienstags bis samstags, 19.30 Uhr, Goethe-Theater im Flughafen Tempelhof, Platz der Luftbrücke.
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