: Skifahren im blutigen Schnee Kurdistans?
■ Menschenrechtsgruppen machen auf der Tourismusmesse Druck gegen Länder, wo gefoltert und gemordet wird / Robin Wood verleiht „Umweltteufel“ an Ecuador
Eine Szene am Rande der ITB: Ein Jugendlicher trägt ein Plakat mit der Aufschrift: „Boykottiert den Tourismus in der Türkei!“ Fünfzig Meter weiter bilden Mitglieder von amnesty international (ai) mit schwarzen Pappsilhouetten ein Spalier. Die 25 Silhouetten erinnern an Menschen, die zum „Verschwinden“ gebracht wurden – ob nun in Thailand, Südafrika, Mexiko oder anderen Urlaubsländern. Bernhard Schmidt von ai berichtet von einem für heute vereinbarten Gespräch mit dem Botschafter von Sri Lanka. „Der will sich mit uns über das Schicksal von vier jungen Tamilen unterhalten, die seit ihrer Verhaftung vor vier Jahren verschwunden sind.“ Vom Himmel gefallen ist diese Audienz allerdings nicht: Zuvor hatte die Sri-Lanka-Gruppe von ai 20 Reisebüros über die Menschenrechtssituation auf der Insel informiert und die Korrespondenz gleichzeitig an Regierungsstellen in Sri Lanka weitergegeben.
Der türkische Botschafter hat sich bislang nicht mit Menschenrechtsorganisationen verabredet. Anlaß hätte er genug: Mit der Verschärfung der Situation in Türkisch-Kurdistan ist die Türkei ins Zentrum der menschenrechtsorientierten Tourismuskritik gerückt. Am Türkei-Infostand von ai ist allerdings keine Rede von Boykott. „Wir wollen die Menschen für die Situation in der Türkei sensibilisieren“, heißt es dort. „Und außerdem wollen wir auf einzelne Schicksale hinweisen.“ Beispielsweise auf das von Fehti Yildirim aus Viransehir in der Provinz Urfa. Seit dem 5. Januar 1994 wird er in „unbestätigter Haft“ an einem unbekannten Ort festgehalten. Yildirim ist im Ortsvorstand der pro- kurdischen „Demokratiepartei“ (DEP). Allen Grund hat also ai, sich Sorgen zu machen, denn bislang wurden 80 Funktionsträger dieser Partei ermordet. Das berichtete Roland Ofteringer von der Hilfsorganisation medico international auf einer Veranstaltung zur ITB, die der TU-Asta im Kreuzberger Kato veranstaltete. Hier war die Forderung Konsens, den Türkei-Tourismus so lange zu boykottieren, wie die Menschenrechtsverletzungen und der Krieg andauern.
Die Journalistin Ulrike Hennig erwähnte Planungen, in kurdischen Provinzen wie Hakkari in Zukunft Wintersport anzubieten. Eine alpine „Saison in Hakkari“ im blutigen Schnee? Der lange triste Schatten der jüngsten Ereignisse fiel auch ganz direkt auf die Veranstaltung: Als Hauptrednerin war die kurdische Abgeordnete Leyla Zana vorgesehen. Die aber sitzt seit Freitag nicht mehr für die DEP im türkischen Parlament, sondern im Gefängnis. Auch gegen sie wurde der Vorwurf des „Seperatismus“ erhoben. Die Staatsanwaltschaft hat schon die Todesstrafe gefordert. Der Friedens- und Konfliktforscher Ulrich Albrecht meinte: „Das einzige Sicherheitsproblem, das die Türkei hat, ist ihr eigener Krieg in Kurdistan.“ Der wäre aber längst von außen beendet worden, wenn die Türkei beispielsweise Somalia hieße.
„Damit die Menschen wenigstens zum Newroz-Fest ohne Angst feiern können“, will Marion Selig, PDS-Abgeordnete im Parlament, mit einer Delegation in die östlichen Provinzen der Türkei fahren. Die Delegationen werden in der BRD und anderen europäischen Ländern zusammengestellt. Sie sollen durch ihre Anwesenheit die Bevölkerung schützen. Bislang aber konnten sich, so Marion Selig, Mitglieder der anderen Parteien im Abgeordnetenhaus nicht zu einer Teilnahme durchringen. Vielleicht stoßen die deutschen Delegierten auf ihrer Reise auch auf türkische KritikerInnen des Krieges. „Es gibt durchaus eine türkische Bewegung für den Frieden“, meint Medico-Vertreter Ofteringer. Die habe es auch deshalb schwer, weil die meisten türkischen Medien mittlerweile erfolgreich auf Kriegskurs eingeschworen seien. Die oppositionelle Tageszeitung Özgür Gündem (Freie Tagesordnung) und ihre Mitarbeiterinnen werden existentiell bedroht. Das Blatt kann jetzt auszugsweise auch auf deutsch bezogen werden: In Berlin erscheint alle zwei Wochen eine Sammlung ausgewählter Artikel (Bezug: Mediengruppe Kurdistan, c/o GNN- Verlag, Czeminskistraße 5, 10829 Berlin).
Im türkischen Pavillon auf der ITB kursiert indessen die Meinung, die deutsche Presse berichte grundsätzlich einseitig, sprich: gegen die Türkei. Schon die Frage nach den Folgen des Krieges in Kurdistan auf den Tourismus in der Türkei löst hier Befremden aus: „Kurdistan – das gibt es doch gar nicht“, meinte die deutsche Mitarbeiterin eines türkischen Reiseveranstalters. Und auch ihre KollegInnen im Glaskäfig der Islamischen Republik Iran blieben bislang selbst von solchen harmlosen Fragen unbehelligt. Martin Forberg
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