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■ Zur kulturellen Frühjahrsoffensive der IHKKritik kommt doch von Können

Gerade sechs Wochen ist es her, daß sich die FAZ ihre eigenen Hitler-Tagebücher leistete und mit den Brandt-Notizen die Geschichte umschreiben wollte. Nachdem sie damit so grausam falliert ist, will sie zwar immer noch alle sozialdemokratischen Werte umwerfen, diesmal aber auf dem goldenen Boden des Handwerks bleiben.

Und heißa! wird zur Frühjahrsoffensive der Mittelstandsvereinigung in der CDU geblasen. Mit Enzensberger und Hans Sachs im Sturmgepäck zieht die Schreibstandarte Joachim C. Fest zum Kampf gegen den altbösen Feind.

Neulich waren noch die Achtundsechziger an allem schuld, dann die Gruppe 47, weil sie für eine Westbindung der Bundesrepublik sorgte und den nationalen Auftrag schändlich vernachlässigte. An diesem Wochenende ist es Jack Kerouacs armer kleiner, zugestaubter Roman „On the Road“ gewesen, der, weil er vor 35 Jahren in deutscher Übersetzung erschien, dem „Unglück einen Namen“ gab. Wie der lautet, Fritz oder Kaspar oder Karl-Heinz, verrät die FAZ nicht, raunt dafür in bewährter Weise vom „Verlust der Regeln“, von „langatmiger Unverständlichkeit“ in der Avantgarde, wo der „Dilettantismus grassiert“, weil die Kunst nicht mehr „straff organisiert“ ist und die Künstler aufsässig sind und „nicht dienen“. „Talent ohne Handwerk“ hat, wie das Zentralorgan der Industrie- und Handelskammer Frankfurt am Main verkündet, „keine Zukunft mehr“.

Das saß. Schwer getroffen stöhnt die längst sanft entschlafene Avantgarde auf, röchelt noch ein letztes Mal in ihrem Sarg. Aber Schirrmachers bunte Truppe kennt kein Pardon: „Wir haben geprüft, was die Künstler noch können.“ Schnell werden die Leichen aus dem Reich der toten Avantgarde geholt und als Pappkameraden auf dem ideologischen Schlachtfeld aufgebaut. Piff! und Paff! und Victoria! „Die Genieästhetitk der Gegenwart“, verkündet Generalfeldmarschall Schirrmacher (Eisernes Kreuz I. Klasse am Bande), „sagt kaum noch jemand etwas.“ Auch die Heimatfront hat versagt: Weil ihnen die Regeln abhanden gekommen seien, wirkten „die Kritiker oft willkürlich und urteilsschwach“. Wie wahr, ach, wie wahr! Die Filmkritikerin hält dem verachteten Nachwuchs ausgerechnet die Duschszene in Hitchcocks „Psycho“ als beispielhaft vor und zitiert die klassische Frage: „Mr. Hitchcock, wie haben Sie das gemacht?“ Zu dumm: Mr. Hitchcock hat das gar nicht gemacht. Die berühmte Szene, in der Janet Leigh erstochen wird, hat nicht er entworfen und gedreht, sondern sein Sekundant Saul Bass.

Auch diese kleine Bataille: ein Fehlschlag. Manchmal hat der Kulturkampf wie das Handwerk einen doppelten Boden. Willi Winkler

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