„Ich will ein Sexualobjekt sein“

Für Rußlands Frauen ist das Wort Gleichberechtigung eine Drohung. Für sie ist es schwer, einen Mann zu finden, den sie ernst nehmen können. Und an allem ist der Kommunismus schuld.  ■ Von Barbara Kerneck

Kürzlich äußerte sich eine russische Publizistin durchaus repräsentativ für viele Landsfrauen zum Phänomen des westlichen Feminismus: „Da beklagen sie sich nun, daß in ihrer Gesellschaft die Frau als Sexualobjekt behandelt wird. Dazu kann ich nur sagen: Wie dankbar wäre ich dem Mann, der mich ausschließlich als Sexualobjekt behandelte, welch glückliches Leben führte ich an seiner Seite!“ Für solche, unter den Russinnen verbreitete Lebensäußerungen ist natürlich nicht nur der Kommunismus verantwortlich zu machen. Vorsichtshalber werfen wir also einen Blick zurück.

Mit von der Partie waren die Frauen in allen sozialrevolutionären Bewegungen im Rußland des 19. Jahrhunderts. Als Aufklärerinnen gingen sie für die Bewegung „Narodnaja Wolja“ aufs Land, als Terroristinnen gelangten sie zu Berühmtheit. So etwa Vera Sasulitsch, die 1878 eine Bombe gegen den Stadthauptmann Petersburgs schleuderte. Keine der Fraktionen im demokratischen Spektrum bezweifelte es: Selbstverständlich würde der „neue Mensch“ der Zukunft auch einer neuen Rollenverteilung zwischen den Geschlechtern bedürfen.

Von so viel Einmütigkeit ließ sich denn auch die Obrigkeit beeindrucken. Eine der ersten, wenn nicht die erste russische Feministin, Nadjeschda Stassowa, erkämpfte um 1860 die Einrichtung von „Höheren Frauenkursen“ und erreichte später, daß Frauen zu den Universitäten zugelassen wurden. Auf dem „Ersten allrussischen Frauenkongreß“ 1908 forderten tausend Frauen von der Duma die gesetzliche Gleichberechtigung und stritten sich mit aller Raffinesse um Spezifika des weiblichen Wesens.

Dabei trat auch Alexandra Kollontai auf. Die erklärte kurzerhand die „Frauenfrage“, wie sie bei den Bolschewiki hieß, zum Nebenwiderspruch. Nicht vereinzelte Emanzen seien als die Heldinnen des weiblichen Geschlechts zu betrachten, sondern „die namenlosen weiblichen Massen“. Frau muß allerdings der Kollontai Recht widerfahren lassen. Die Bolschewikinnen unternahmen zwar nichts gegen die Unterdrückung sämtlicher feministischer Tendenzen nach der Revolution, aber sie kämpften immerhin für ein breites Netz von staatlichen Einrichtungen, die den namenlosen weiblichen Massen die gleichwertige Eingliederung in die Armee der Werktätigen erleichtern sollten: Wäschereien, Kindergärten – und Kantinen nicht nur im Betrieb, sondern auch im Wohnblock.

Zudem wurde in den 20er Jahren die freie Liebe proklamiert. Ein Paar konnte vom Staat registriert zusammenleben oder auch nicht. Auch wenn so manche Frau schon bald alleingelassen mit dem Kegel ihres nichtregistrierten Hallodri in der wohnblockseigenen Kantine die Kopeke umdrehte – insgesamt scheint das Leben damals noch lustiger gewesen zu sein.

In den dreißiger Jahren wurde es ernst. Da traten die ersten Traktoristinnen auf den Plan, Stachanow-Aktivistinnen erfüllten Pläne über und über. Wiedergeboren wurde die Frau als Arbeitspferd – ein auch aus dem heutigen Rußland noch geläufiges Bild: Teer neben der Dampfwalze schaufelnd und mit dem Vorschlaghammer auf du und du. 1936 verkündete die Stalinsche Konstitution, daß eine Aufgabe von gewaltiger historischer Tragweite abgeschlossen und die Gleichberechtigung der Frau in die Realität umgesetzt worden sei. Im gleichen Jahr wurde die Abtreibung verboten.

Die Frauen trabten neben ihrer Doppelbelastung ständig zu politischen Versammlungen, genau wie die Männer, und hielten sich deshalb letztlich wirklich für gleichberechtigt. Parallel wurde die heilige Familie wieder eingeführt – denn wer sollte dem Land Soldaten gebären, wenn man die Bürgerinnen nicht an die Kandare nahm? Ab 1940 konnten Renten- und Versorgungsansprüche nur noch zwischen den Mitgliedern registrierter Lebensgemeinschaften erhoben werden. Dann verbot man sogar – wenn auch kurzfristig – die Scheidung. Jeder betrogenen Ehefrau stand es offen, zum Partei- oder Gewerkschaftskomitee petzen zu gehen – und dieses Kollektivorgan konnte dem Mann Vorschriften für den Gebrauch seines ganz Persönlichen machen.

Dies blieb so bis in die 80er Jahre. Die Frauen allerdings durften seit der Tauwetter-Periode ganz offiziell wieder abtreiben, oft unter erniedrigenden, gesundheitsgefährdenden Umständen und möglichst so, daß der Betrieb nichts davon erfuhr. Sonst konnte es im Personalbogen eine schlechte Note unter der Rubrik „moralische Solidität“ geben.

Russinnen, die sich heutzutage kritisch mit der eigenen Geschichte auseinandersetzen, mögen nicht allein den Kommunismus für diese Entwicklung verantwortlich machen. Dahinter stehe, so meinen sie, eine mehrere Jahrhunderte währende totalitär-absolutistische Staatsführung. Schon Peter der Große habe sich zum Vater aller seiner Untertanen erklärt und dabei die realen Väter aus dem Volke so unterjocht, daß sie sich nicht mehr schützend vor ihre Familien zu stellen vermochten. „Unser Staat hat seit Jahrhunderten versucht, die Persönlichkeiten von Frauen ebenso wie von Männern zu einem neutralen Einheitsding zu nivellieren. Und unsere Persönlichkeiten wieder zu entdecken, daß heißt eben auch, uns als erotische Wesen zu entdecken“, meint meine Freundin Irina Kortschagina. Vielleicht ist es ja eine Erklärung dafür, warum sich die oben zitierte Publizistin nicht nur vom Wort „Gleichberechtigung“ abgeschreckt fühlt, sondern sich auch nach einer Rolle als „Sexualobjekt“ sehnt. Und überhaupt – von wem soll sich Frau emanzipieren, wenn es offenbar gar keine Männer im Lande gibt?

Für die älteren Frauengenerationen, so die Feministin Swetlana Aiwasowa, wurden die Männer geradezu zur „schützenswerten Art“, zu sehr waren ihre Reihen gelichtet durch Kriege, Bürgerkriege und schließlich den Stalinschen Terror, dessen Todesopfer zu 80 Prozent die Männer bildeten. „Und unsere jungen Frauen haben es schwer, einen Mann zu finden, den sie als solchen überhaupt ernst nehmen“, meint Irina. Woran das liegt? „An unserem öden Bildungssystem. Da wurde der einzelne individuell wenig gefördert. Mädchen läßt ihre unbesiegbare Neugierde trotz aller Hindernisse lernen. Männer dagegen geben gleich klein bei, wenn sie nicht gehätschelt werden. Und deshalb“, schließt Irina, „sind unsere Frauen im Durchschnitt gesehen nicht nur gebildeter, sondern sogar besser ausgebildet als unsere Männer.“ Daran scheint nun wirklich der Kommunismus schuld zu sein.