: Schwule können in Ruhe Bier trinken
■ Der Polizeiüberfall auf die Stricherbar "Tabasco" vor zwei Jahren hatte gestern ein gerichtliches Nachspiel / Die Polizei versicherte, in der Szene nur noch unauffällige Razzien durchzuführen
Besucher von Schwulenkneipen brauchen nun keine Angst mehr zu haben, plötzlich von lauten „Hände hoch!“-Rufen überrascht zu werden. Vor dem Berliner Verwaltungsgericht versicherte gestern die Polizei, künftig in der Homoszene keine überfallartigen Razzien mehr durchzuführen. Bei Routinekontrollen werde man „möglichst unauffällig“ vorgehen und zuvor den Beauftragten für gleichgeschlechtliche Lebensweisen konsultieren, versprach der Justitiar der Landespolizeidirektion, Kriminaldirektor Arndt. In „dringenden Notfällen“ soll sich der Beauftragte Heinz Uth zumindest um die „Nachbereitung“ kümmern.
Das ungewöhnliche Zugeständnis der Ordnungshüter ist auf das Engagement der Schöneberger Szenegröße Uli Menze zurückzuführen. Mit einer Klage vor dem Verwaltungsgericht wollte der Pächter der Stricherbar „Tabasco“ einen spektakulären Polizeiüberfall auf sein Lokal vor knapp zwei Jahren für rechtswidrig erklären lassen. Etwa achtzig Beamte in Kampfuniform hatten in der Nacht zum 22. März 1992 das „Tabasco“ gestürmt, die Gäste mit gezücktem Knüppel an die Tische geschubst und ihre Personalien überprüft. Ein Besucher wurde dabei von einem Beamten mit dem Kopf gegen die Wand geschlagen und mußte im Krankenhaus behandelt werden.
Wegen „fehlender Wiederholungsgefahr“ lehnte es der Vorsitzende Richter Markworth zwar ab, über die Rechtmäßigkeit des Polizeieinsatzes zu entscheiden, mehrfach ließ er jedoch durchblicken, daß er die Verhältnismäßigkeit nicht gewahrt sah. Markworth, der vor Jahren schon eine Razzia in „Tom's Bar“ beanstandet hatte, hob hervor, daß es nach dem „Tabasco“-Einsatz bei den obersten Schutzmännern zu einem „Nachdenken“ gekommen sei, in dessen Folge der Polizeibeauftragte für gleichgeschlechtliche Lebensweisen mehr Kompetenzen bekommen habe.
Auch Pächter Uli Menze räumte vor Gericht ein, in letzter Zeit „nicht mehr so große Angst“ vor erneuten überfallartigen Razzien zu haben, drängte aber auf eine verbindliche Zusicherung von Polizeijustitiar Arndt. Im Anschluß daran erklärte Richter Markworth den Prozeß für „erledigt“.
Die Notwendigkeit von Razzien in der Berliner Schwulenszene zog keiner der Prozeßbeteiligten in Zweifel. „Es geht uns allein um die Form, in der solche Einsätze ablaufen“, betonte Menzes Anwalt Wilhelm Lodde. Aufgrund etwa der Drogenprobleme rund um die Fuggerstraße habe sein Mandant überhaupt nichts gegen „höfliche Einsätze“, die es in den letzten beiden Jahren im „Tabasco“ gegeben habe. „Viele Gäste haben gar nicht gemerkt, daß eine Razzia stattfand“, lobte Uli Menze. Einmal im Monat träfen er und andere Wirte von Schwulenbars sich mit der Polizei, um Probleme im „Milieu“ zu erörtern.
Rechtsanwalt Wilhelm Lodde wertete den Gerichtsentscheid als „vollen Erfolg“. Zwar sei das Zugeständnis der Polizei juristisch nicht bindend, man könne es aber als „politisches Druckmittel“ gebrauchen. So habe Kriminaldirektor Arndt indirekt die Stelle des Beauftragten für gleichgeschlechtliche Lebensweisen langfristig abgesichert. Besonders begrüßte Lodde Arndts Ankündigung, das Protokoll der Gerichtsverhandlung allen Polizeidienststellen zuzuleiten. „Das wirkt präventiv.“
Ob sich weitere Gerichte mit dem Überfall auf das „Tabasco“ beschäftigen werden, ist noch nicht abzusehen. Uli Menze behält sich vor, das Land Berlin auf Schadenersatz zu verklagen. Den Einsatzschaden und den Verdienstausfall beziffert er auf mehrere tausend Mark. Vor der Strafjustiz wird der umstrittene Polizeieinsatz allerdings nicht landen. Aus Furcht, seine Homosexualität könnte in der Öffentlichkeit bekannt werden, traute sich der von einem Polizisten schwer verletzte Gast nicht, Anzeige wegen Körperverletzung zu erstatten. Micha Schulze
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