: Klassenkämpferische „Erfolgsbilanz“
■ Die Kreuzberger Gruppe „Klasse gegen Klasse“ interviewt sich und will weiter gegen „Mittelstandsgewinnler“ vorgehen
„Der ehemalige ,In‘-Bezirk Kreuzberg ist wieder zum Angst- Bezirk für das gehobenere Mittel- und Oberschichtpack geworden.“ Mit diesen Worten bilanziert die Kreuzberger Kadergruppe „Klasse gegen Klasse“ (KgK), die in der Vergangenheit mit Handgranaten und Brandsätzen gegen „Yuppies“ und „Mittelständler“ und für ein sauberes „proletarisches Kreuzberg“ von sich reden machte, ihren nunmehr zweijährigen „Kampf“. In einem zwölfseitigen Papier nebst Bastelanleitung für diverse Brandsätze räumt KgK zwar ein, daß die „Vertreibungspläne für unsere Klasse in Kreuzberg noch nicht gestoppt“ seien, sich allerdings „das Umstrukturierungsklima zum Nachteil der SpekulantInnen und ihrer HandlangerInnen verschlechtert“ habe. Zur „Erfolgsbilanz“ der Gruppe gehört nach eigenen Angaben auch, daß die Polizei trotz des Fahndungsdrucks, einer eigens gebildeten Sonderkommission und der neu gegründeten Kiez-Cops bisher noch keinen Erfolg gegen KgK habe feiern können.
Das Papier, in Form eines Selbstinterviews verfaßt, ist offenbar der Versuch der selbst in autonomen Kreisen kritisierten Klassenhüter, ihre politische Isolierung in der linksradikalen Szene zu durchbrechen. An der Verortung des „alternativen Mittelstands“ als Hauptfeind der „proletarischen Klasse“ wird freilich kein Zweifel gelassen. Was sie selbst „von der Mehrheit der Linken unterscheidet“, schreibt KgK, sei die Tatsache, daß ihr eigener Kampf als „Proletarier“ tatsächlich existentiell sei. Im Gegensatz zu den „Mittelschichtslinken“ habe man nicht die Möglichkeit, „Karriere zu machen oder nach ein paar wilden ,autonomen‘ Jahren wieder in ihre Klassen zurückzukehren oder sich als sogenannte Alternativszene in die gemütliche Nische zurückzuziehen“. Insgesamt wird die Linke kritisiert, weil sie sich nicht „zu den schwerwiegenden Problemen, denen unsere Klasse ausgesetzt ist“, verhalten würde. Statt sich in Nischen einzurichten, gelte es aber die „allgemeine Passivität innerhalb der Klasse“ zu überwinden. Über die Gründe für diese Passivität werden allerdings nur Versatzstücke genannt, wie überhaupt der Zustand der Linken vor allem den Konsumangeboten des Klassenfeinds geschuldet und der Zusammenbruch des realen Sozialismus in manchen Kreuzberger Köpfen noch immer nicht angekommen zu sein scheint. Statt dessen heißt es lapidar: „Wir haben nicht die Zeit, jetzt in Ruhe eine neue Utopie zu entwickeln.“
Das Pamphlet von „Klasse gegen Klasse“ wendet sich vor allem an andere linke Gruppierungen, mögliche Differenzen zu überdenken und statt dessen „zusammen zu kämpfen“. Insbesondere die Kreuzberger Jugendlichen haben sich die selbsternannten Klassenkämpfer als Bündnispartner auserkoren. „Malt die Initialen von KgK an Häuserwände“, heißt es an ihre Adresse. Dann nämlich „brechen viele Yuppies und Mittelschichtsgewinnler in Angstschweiß aus“. Als weitere „Aktionsvorschläge“ werden unter anderem Bombendrohungen genannt.
Der von der Gruppe im tiefsten christlichen Gestus vorgetragene Glaube an die „proletarische Klasse“ wird zwar in einigen selbstkritischen Passagen problematisiert („eine Idealisierung von revolutionären Subjekten [...] wäre ein Weg ins Sektierertum“). Im gleichen Zusammenhang werden allerdings die „Grenzgänger der Macht“ als potentielle neue Anschlagsziele genannt, darunter der Verein SO36, die Kreuzberger Erneuerungskommission oder verschiedene Mieterläden. Ihnen wird vorgeworfen, „ganz gezielt revolutionären Widerstandsprozessen das Wasser abzugraben“. Im Visier der Stalinisten ist neben einem Comicladen in der Oranienstraße, dessen Inhaber mit der Polizei paktiert haben soll, immer noch der italienische Feinkostladen „alimentari et vini“ in der Skalitzer Straße. Nachdem der Laden, auf den bereits mehrere Anschläge verübt wurden, ein „Ultimatum“ von Klasse gegen Klasse habe verstreichen lassen, wird ihm nun das angedrohte „finale Ende“ angekündigt: „Der gegenwärtige Bullenschutz Eures Ladens wird Euch langfristig nichts nutzen“, heißt es, „kommt Zeit, kommt Rat, kommt A...“, sprich Attentat. Sans Culottes
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