piwik no script img

Schluß mit dem Gestammel

■ TänzerInnen der Berliner Opernhäuser auf dem Festival X 94: McDance in der Akademie der Künste

Neben mir wird Schokolade gegessen, mit dem Papier geraschelt und auch ein wenig geschmatzt. Die erste Tanzveranstaltung, die im Rahmen des Mammutfestivals X94 am Dienstag in der Akademie der Künste über die Bühne ging, hat tatsächlich auch vereinzelte Jugendliche angezogen, die mit den Gepflogenheiten eines Theaterbesuchs nicht vertraut sind. Aber daß es irgendwie anders als im Kino ist, bemerkte das Pärchen neben mir sehr bald, und der Versuch, geräuschlos die Schokolade aus dem Papier zu klauben, führte zu schwierigen Operationen.

Martialische Bewegungsexplosionen, Anleihen bei HipHop oder Techno und Tänzer, angetan mit Knieschonern und Turnschuhen, das ist im zeitgenössischen Tanz schon lange nichts Ungewöhnliches mehr – sondern eher der Normalfall. Die Jugendlichen, von deren Ausdrucksformen der Bühnentanz profitiert, haben davon allerdings weitgehend keine Ahnung. Für sie ist Tanz noch immer Disco oder Schwanensee, so stellte Claudia Burkhard im Gespräch mit den Menschen unter 20 (oder wo ist da die Altersgrenze?) fest.

Im Rahmen von X 94 gibt es nun ein weitgefächertes Tanzprogramm, das den Jugendlichen etwas auf die Sprünge helfen und den Blick öffnen möchte für Tanzformen, die über das Vertraute hinausgehen. Die jungen Leute mit dem Schokoladenproblem sind in der gut besuchten Aufführung das sich ganz offensichtlich in der Minderheit befindliche Zielpublikum der „jungen Kunst und Kultur“, die nicht immer von solchen gemacht, aber (auch) für solche gedacht ist.

Das Programm, das Claudia Burkhard zusammengestellt hat, ist allerdings nicht nur für Jugendliche erfreulich, sondern auch für etwas ältere Berliner Tanzfreunde. Denn neben einer Breakdance- Party und Besuchen bei diversen Tanzbühnen der Stadt stehen auch interessante Gastspiele auf dem Programm. Aus New York kommt die Gruppe Doorajar, aus Kanada das DynamO Theatre und aus dem nicht ganz so weit entfernten Hamburg die Gruppe COAX, deren eher witziges als brutales „Drifting – or 500 ways to bang your head“ erst vor wenigen Wochen im Rahmen des Bagnolet-Wettbewerbs im Hebbel-Theater zu bewundern war.

Mit der Berliner Kompanie McDance wurde am Dienstag und Mittwoch in der Akademie der Künste die Tanzreihe eröffnet. McDance ist allerdings nicht irgendeine Tanzgruppe – im vergangenen Jahr von der Tänzerin und Choreographin Judith Frege gegründet, formiert sich die Kompanie aus TänzerInnen der Berliner Opernhäuser, die, so das Eigenstatement, „auf der Suche sind nach zeitgenössischen, experimentellen und innovativen Formen des Tanzes“. Daß KünstlerInnen außerhalb der staatlichen Institutionen andere Wege ausprobieren, ist nichts Ungewöhnliches, doch meist kommt dabei nicht viel anderes heraus als an den großen Bühnen, und es ist vielleicht eher die andere Atmosphäre, die lockt.

Im Fall der so konservativ geführten Opernhäuser ist das anders, die Tänzer zeigen eine Ästhetik, die in ihren eigenen Häusern keinen Platz hat. Und obwohl „Psalm Sixtynine – the cities eat their children“ ganz in den Konventionen des modernen Tanzes verbleibt und sicher noch etwas ungelenk und unausgereift ist – es wird einem schmerzlich bewußt, was für Qualitäten da in den Opernhäusern vor sich hingammeln und was für spannende Sachen diese Tänzer anstelle von verschimmelten Schwanenseen und Giselles in Berlin möglich machen könnten.

Das erste Stück des Abends, „One Step Beyond“, war sicher das künstlerisch anspruchsvollere, doch der Versuch, bildende Kunst, Tanz und Schauspiel miteinander zu verbinden, bekam keinen richtigen Rhythmus. In ihrer zweiten Arbeit hat sich Judith Frege nicht soviel vorgenommen, und das Stück über Jugendliche in der Großstadt, die in Gangs herumhängen und randalieren, entwickelte sich nach einem langsamen Einstieg zu heftiger Explosivität. Das Ganze war vielleicht eher von Filmen als von der Realität auf der Straße inspiriert – aber vielleicht macht genau das die Qualität des Stücks aus. Michaela Schlagenwerth

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen