: Grüne Spardebatte vollkommen tabufrei
■ Reiche zuerst, doch niemand wird verschont / Grüne wollen Spar-Prioritäten
„Dann müssen wir uns eben alle eine Woche ans Telefon setzen und uns anrufen lassen unter dem Motto: BremerInnen helfen sparen. Ich bin sicher, es wird viele interessante Vorschläge geben.“ Leere Kassen brauchen pfiffige Ideen, mag sich der Grüne Dieter Mützelburg gedacht haben, als er seiner Parteiversammlung am Mittwoch diesen eher ungewöhnlichen Vorschlag machte. Aber so ungewöhnlich war die Idee für den Abend gar nicht.
Mit großer Ernsthaftigkeit und ohne die altbekannten ideologischen Scheuklappen debattierten die Bremer Grünen das Thema, das die Stadt beherrscht: Die aktuelle Sparrunde. Und da gibt es für die Grünen keine Tabus mehr, ungewöhnliche Aktionsvorschläge haben genauso ihren Platz wie offene Worte zu Themen, die bislang als sakrosant galten.
Der Landesvorstand war mit einem Leitantrag aufgetreten, der einige Überraschungen barg. Zum einen wurde in dem Papier die politische Herausforderung Haushaltskonsolidierung eindeutig angenommen, zum anderen hatte der Landesvorstand zu umreißen versucht, was in der Spardebatte der letzten Monate chronisch zu kurz gekommen war: nämlich eine politische Bewertung und Prioritätensetzung.
Der Grüne Vorschlag: Reiche sollen zuerst dran sein, keiner darf verschont werden, und schon gar nicht die Verwaltungen. Dazu wollen die Grünen ein Kürzungspaket schnüren: Alle Maßnahmen, die nicht unmittelbar die Wirtschaftskraft stärken, soziale Standard sicher oder die ökologische Situation verbessern – weg damit. Das beträfe aufwendige Baumaßnahmen ebenso wie die Computerausstattung für die Bremische Bürgerschaft. Danach sollen die Subventionen an der Reihe sein und das Gutachtenwesen diverser Ressorts. Und schließlich stellen die Grünen auch die staatlichen Leistungen zur Dispositionen: vom Bäderangebot bis zu den Frauenhäusern. Das aber erst, wenn die Kürzungen in den Bereichen davor „tatsächlich stattfinden und dennoch weitere finanzielle Einschnitte erforderlich sind“, heißt es in dem Antrag. Dann solle eine öffentliche Diskussion darüber angezettelt werden, wovon sich die BremerInnen zuerst verabschieden wollen. Und sowieso wollen die Grünen endlich eine Verwaltungsreform auf den Weg gebracht sehen: Weniger Kosten für die politische Führung, Privatisierungen und Angestellte statt Beamtentum.
Niemand bei der Versammlung war in der Lage, dazu einen Alternativvorschlag zu formulieren, der auch nur den Hauch einer Chance zur Mehrheit gehabt hätte. Ein paar Änderungen, und der Antrag wurde einstimmig angenommen. Abgeschmiert waren da schon längst Vorschläge wie „Streichungen vor allem im Wirtschaftspolitischen Aktionsprogramm“ oder „Veto gegen Streichungen bei den Projekten“. Und wenn es früher bei den Grünen eine sichere Bank für „Keine Streichungen beim Sozialhaushalt“ gab, heute sieht die Lage ganz anders aus.
Selbstverständlich könne die aktuelle Kürzungsquote im Sozialressort nicht hingenommen werde, sagte die Fraktionssprecherin Karoline Linnert, aber: Gerade im Sozialbereich gebe es noch reichlich Luft, zum Beispiel beim Thema Unterbringung, bei der sich das Land eine teure Variante leiste.
„Es geht ans Eingemachte“, faßte Umweltsenator Ralf Fücks den Stand der Sparrunde zusammen. „Und hier wird das zum erstenmal offen und ohne Angst diskutiert.
Zuvor hatten die Grünen kurz und knapp debattiert und beschlossen, wie sie es mit der Verkehrspolitik für die Innenstadt halten wollen: „Wir sind nicht mehr bereit, das Gezerre weiter mitzumachen“, sagte Vorstandssprecherin Karin Krusche. Beschlossen wurde noch einmal, was ohnehin im Koalitionsvertrag steht: Die Sperrung der Martinistraße soll noch in dieser Legislaturperiode erfolgen, die Innenstadtparkplätze reduziert und das Radwegenetz ausgebaut werden
. Zudem soll nach dem Willen der Grünen doch noch der Modellversuch „Fußgängerfreundliche Innenstadt“ Realität werden. Und wenn der Koalitionspartner FDP dagegen sei, so die Abgeordnete Elisabeth Hackstein, „dann muß die FDP eben überstimmt werden.“
Jochen Grabler
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