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Ein erster Lackmustest für Rot-Grün

■ Die Landtagswahl in Niedersachsen entscheidet, ob die Option Rot-Grün für Bonn einen richtigen Schub bekommt oder abstürzt

Werner Schulz, Chef der Bündnis-90/Grüne-Bundestagsgruppe, gab sich eher skeptisch. Den Mannheimer Parteitag noch in den Knochen, wollte er nicht ausschließen, daß die überwiegend schlechte Presse in Hinblick auf die Wahl in Niedersachsen negativ zu Buche schlagen könnte. Aber auch für diesen Fall hält Schulz Trost bereit. Die Wahl am Sonntag sei „ein Lackmustest“, der zeitlich genau richtig komme, um im Bedarfsfall den Wahlkampf für Bonn auch noch einmal korrigieren zu können. Was er sich da vorstelle? Nun ja, darüber könne man dann nach der Wahl reden.

Tatsächlich hoffen die Grünen bundesweit auf das genaue Gegenteil. Mit einem guten Ergebnis in Niedersachsen und einer konsolidierten Neuauflage der Koalition soll die Option Rot-Grün für die Bundestagswahlen richtig auf den Weg gebracht werden. Mit Niedersachsen raus aus dem Sandkasten der taktischen Spielchen, rein in einen Wahlkampf mit dem Ziel der Regierungsbeteiligung, heißt die Parole.

Dabei wäre ein gutes Ergebnis für Schröders SPD perspektivisch gar nicht schlecht. Bisher hat die SPD in allen Wahlen im Anschluß an eine rot-grüne Regierung (Hessen, Berlin) schlechter abgeschnitten als vorher und sowohl an die Grünen als auch nach Rechts verloren. Gelingt es Schröder, diesen Trend umzukehren, wird die SPD- Spitze gelassener über Rot-Grün diskutieren. Selbst eine absolute Mehrheit der Mandate für die SPD muß keine Katastrophe für Rot- Grün in Bonn sein, wenn es den Grünen trotzdem gelingt, zwischen sechs und sieben Prozent zu erreichen. Ein echtes Problem wird Niedersachsen nur dann, wenn die Grünen durchfallen oder Schröder sich, falls er die Wahl hat, für die FDP als Partner entscheidet.

Aber Niedersachsen hat nicht nur für Rot-Grün einen hohen Stellenwert als Testwahl für Bonn. Am Sonntag wird sich auch entscheiden, ob von rechtsaußen, von Schönhubers „Republikanern“, eine realistische Bedrohung ausgeht. Schaffen sie den Sprung in den Landtag, haben sie eine gute Ausgangsposition für die Europawahl im Juni – aus der sich wiederum eine Eigendynamik entwickeln könnte, die sie bis in den Bundestag trägt. Wohl wissend um die Bedeutung der Wahl hat die DVU ihre Kandidaten zurückgezogen, um Schönhuber keine Stimmen abzunehmen. In allen Landtagswahlen der letzten Jahre haben immer entweder die DVU oder die Reps den Sprung über die Fünfprozenthürde geschafft, wenn sie sich nicht gegenseitig Konkurrenz gemacht haben.

Wo die Rechtsradikalen sich mit einiger Aussicht auf Erfolg Hoffnungen für einen Aufstieg von Wahl zu Wahl machen können, fürchtet die CDU genau das Gegenteil. Niedersachsen könnte eine Abwärtsspirale einleiten, die letztlich in einem Desaster für Kohl endet. Zwar rechnet niemand mit einem Wahlsieg der Union am Sonntag, aber auch Niederlagen können sehr unterschiedlich ausfallen. Verliert der Nachwuchsmann Wulff drastisch, braucht die CDU in Sachsen-Anhalt kaum noch anzutreten. Und auch für die Europawahlen sieht es dann düster aus.

Wie immer in solchen Situationen wird bereits vorher vor allem darüber nachgedacht, wem eine Niederlage am ehesten anzuhängen wäre. Bietet Niedersachsen vielleicht eine letzte Möglichkeit, in einem Akt der Verzweiflung doch noch über den Kanzlerkandidaten der CDU/CSU zu diskutieren, oder schafft es die Parteirechte, eine Niederlage Wulffs als Niederlage des CDU-Reformflügels zu verkaufen? Immerhin ist in Niedersachsen Rita Süssmuth Spitzenkandidatin für den Bundestag, und auch der aufmüpfige Friedberg Pflüger hat seinen Wahlkreis in Hannover. Die Antwort wird wohl auch vom Abschneiden der Reps abhängen. Schaffen sie es in Niedersachsen, wird die CDU noch stärker als ohnehin schon ihr Heil im Marsch nach rechts sehen. Jürgen Gottschlich

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