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Razzia vorbei, Beweise fehlen

In Frankreich lassen Bürgerinitiativen die vor vier Monaten bei großen Razzien festgenommenen Kurden nicht in Vergessenheit geraten  ■ Aus Paris Dorothea Hahn

Die Operation „Rosenrot“ lief in der Nacht des 18. November. Französische Polizisten stürmten die Lokale von kurdischen Vereinigungen in Paris, Grenoble, Lyon und Rouen und nahmen alles mit, was sie finden konnten: Kiloweise Papier und über hundert „Verdächtige“. Zehn Tage später wurden in einer offenbar mit Bonn abgesprochenen Aktion mehrere kurdische Organisationen in Frankreich und Deutschland verboten. Beinahe vier Monate später sitzen elf bei den Razzien festgenommene Kurden immer noch in französischen Gefängnissen, weitere stehen unter Hausarrest. Weder die Inhaftierten noch ihre Anwälte wissen, was ihnen vorgeworfen wird. Vorerst sitzt der Untersuchungsrichter vor einem Berg von Dokumenten, die „übersetzt“ und „interpretiert“ werden müssen.

Hätten sich nach der Razzia nicht sofort Unterstützungskomitees aus NachbarInnen und FreundInnen gebildet, wären manche Festgenommene heute wahrscheinlich in der Hand der türkischen Behörden. Sechs von ihnen – alle InhaberInnen tadelloser Aufenthaltspapiere – waren sofort in Abschiebehaft gebracht worden. Ihre Namen erschienen wenige Tage später als Angehörige der verbotenen „Arbeiterpartei Kurdistans“ (PKK) in der türkischen Presse.

Die örtlichen Unterstützungskomitees – aber auch nationale Organisationen wie die christliche Menschenrechtsorganisation CIMADE, und die überkonfessionelle Antirassismus-Bewegung MRAP – liefen Sturm. Mit ihren Petitionen, Demonstrationen und mit einer Besetzung von Nôtre Dame erreichten sie immerhin, daß nicht abgeschoben wurde. Bis heute sorgt das über ganz Frankreich verteilte knappe Dutzend Unterstützergruppen dafür, daß die Festgenommenen nicht ganz vergessen werden. Als Reaktion auf die Proteste wurden die AbschiebekandidatInnen unter eine Form des Hausarrests gestellt, bei dem sie eine von der Justiz bestimmte Gemeinde nicht verlassen dürfen, ihre Papiere abgeben und sich alle paar Tage bei der Polizei melden müssen. Dabei dachte sich die französische Justiz eine Menge Schikanen aus. So mietete sie eine 19jährige Kurdin zuerst in einem Hotel in dem westfranzösischen Departement Deux-Sèvres ein – ohne ihre mehrere hundert Kilometer weit entfernt lebenden Angehörigen auch nur zu verständigen. Als sich dort eine Unterstützungsgruppe bildete, die sie regelmäßig zur Polizei begleitete, wurde sie prompt in ein anderes Departement verlegt. Vor zwei Wochen schließlich „verschwanden“ die junge Frau und ein andernorts unter Hausarrest stehender Kurde. Im ersten Schreckmoment befürchteten die UnterstützerInnen heimliche Abschiebungen. Inzwischen wissen sie, daß ihre FreundInnen Frankreich auf eigenen Wunsch verlassen haben. „Es war ihnen zu gefährlich geworden“, sagt ein Unterstützer.

In dem nördlich von Paris gelegenen Saint-Ouen traf der Hausarrest einen kurdischen Familienvater, der seit 1981 anerkannter politischer Flüchtling ist. Das Flüchtlingshochkommissariat der Vereinten Nationen (UNHCR) bezeichnete die Konfiszierung seiner Papiere als „unverständlich und schockierend“. Die Zahl der Inhaftierten ist seit November stetig gesunken. Jedesmal wenn die Ermittler Fortschritte bei der Materialsichtung machten, mußten sie ein paar Gefangene freilassen.

„Die Dossiers sind leer. Es fällt den Ermittlungsbehörden schwer, Vorwürfe zu finden“, sagt Anwalt Jean-Jacques de Felice, der seit den Festnahmen an dem Fall arbeitet. Sein Kollege Daniel Jacoby spricht von einer „skandalösen Affäre“, bei der die Regierung die Justiz benutze, um ein politisches Signal an die Türkei zu senden. Tatsächlich kam kurz nach der Operation „Rosenrot“ ein franco-türkisches Hubschraubergeschäft zustande. Der Chef der Lieferfirma „Eurocopter“ erklärte Anfang Dezember im Interview mit einer türkischen Zeitung, das Pariser „Verständnis“ für die Sorgen Ankaras sei Voraussetzung für den Vertragsabschluß gewesen.

Das zweite Signal der spektakulären Festnahmen richtet sich an politische Flüchtlinge. „Das Asylrecht in unserem Land ist angegriffen“, stellt der Vorsitzende des antirassistischen Bündnisses MRAP, Mouloud Aounit, fest. Eine Sprecherin der christlichen Vereinigung CIMADE glaubt, Innenminister Charles Pasqua wollte klarmachen, „daß Frankreich kein Land mehr ist, in das es sich zu fliehen lohnt“.

Seit ihrem Amtsantritt vor knapp einem Jahr hat die konservative Regierung zahlreiche Anstrengungen gegen die Immigration unternommen. Sie schränkte unter anderem das Grundrecht auf Asyl ein, verkomplizierte gemischt nationale Eheschließungen sowie die Einbürgerung in Frankreich geborener ImmigrantInnenkinder. Ende letzten Jahres nahm sie politisch aktive ausländische Gruppen ins Visier. Die erste massive Polizeiaktion – Operation „Chrysantheme“ – richtete sich gegen die „Islamische Heilsfront“ in Frankreich. Dabei wurden „Belastungsdokumente“ beschlagnahmt, die aus Polizeibeständen stammten, wie inzwischen ein polizeieigener Untersuchungsbericht zutage förderte. Auch bei der wenige Tage später erfolgten Kurdenrazzia fand die Polizei keine stichhaltigen Beweise für den Terrorismus-Vorwurf. Die elf einsitzenden Kurden und die zum Hausarrest Verurteilten sind das vielleicht letzte Faustpfand, um die Richtigkeit der Polizeiaktion zu belegen.

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