: 100 Jahre HEW: Strom, Licht & Schatten
■ Energie-Pionier, Kriegsgewinnler, Atomkonzern: Die HEW feiern ihr hundertjähriges Jubiläum und verdrängen ihre unbewältigte Vergangenheit im „Dritten Reich“
ch möchte Sie bitten, mir diese seinerzeitige Tätigkeit bei Ihnen finanziell abzugelten", wandte sich der Mann, der im bei Lauenburg gelegenen KZ Alt-Garge einst die Insassennummer „P 47123“ trug, mehr als vierzig Jahre nach Ende des „Dritten Reichs“ an die Hamburgischen Electricitätswerke (HEW). Als Teilnehmer des Warschauer Aufstandes von den Nazis verhaftet, war der polnische Widerstandskämpfer zwischen August 1944 und Januar 1945 in dem Außenlager des KZ Neuengamme interniert und gezwungen worden, das HEW-Kohlekraftwerk Alt-Garge mit aufzubauen.
Dieses Schicksal teilte er mit rund 500 Kriegsgefangenen und politischen Häftlingen, vorwiegend aus Polen und Skandinavien. 50 von ihnen überlebten den Aufenthalt in Alt-Garge nicht, weitere 235 waren nach drei Monaten derart entkräftet und krank, daß sie als arbeitsunfähig nach Neuengamme zurücküberführt wurden. Die menschenverachtende „Rentabilitätsrechnung“ der Nazis ging dabei von einer durchschnittlichen Lebensdauer der Zwangsarbeiter von neun Monaten aus.
„P 47123“ überlebte zwar den KZ-Aufenthalt und die Zwangsarbeit zum Wohle der HEW, doch dabei, so schrieb er der HEW, wurde „meine Gesundheit ruiniert“. Aber die gesundheitlichen Folgeschäden durch die Arbeitseinsätze wollte der ehemalige KZ-Häftling gar nicht abgegolten bekommen - bescheiden forderte er nur eine Entlohnung für die natürlich unbezahlte Zwangsarbeit zu Gunsten der HEW.
Deren Antwort fiel brüsk und unmißverständlich aus: „Gewiß sind Sie mit uns einer Meinung, daß Sie zu keiner Zeit bei unserem Unternehmen beschäftigt waren und auch kein Mitarbeiter unseres Unternehmens Ihnen Schaden zugefügt hat.“ In einem zweiten Brief wurde das Energieversorgungsunternehmen noch deutlicher: „Auch unter jedem anderen rechtlichen Gesichtspunkt haben Sie keinen Entschädigungsanspruch gegen uns.“ Mit dieser Antwort war die Angelegenheit für die HEW erledigt. Vergangenheitsbewältigung eines Energiekonzerns.
Mit dem Hinweis, daß der KZ-Häftling zu keiner Zeit bei den HEW beschäftigt war, beruft sich das Elektrizitätsunternehmen auf ein Gesetz, daß es nicht offen beim Namen nennen mag. Aus gutem Grund. Tatsächlich befanden sich die KZ-Häftlinge in keinem „ordentlichen Arbeitsverhältnis“ mit den sie ausbeutenden Firmen, weil das „Gesetz zur Ordnung der nationalen Arbeit“ sie von der „Betriebsgemeinschaft“ ausschloß. 1945 wurde das Paragraphenwerk vom Alliierten Kontrollrat annulliert. Begründung: Es handle sich um ein typisches Nazi-Gesetz.
Als „zutiefst beschämend“ empfindet der energiepolitische Sprecher der GAL, Alexander Porschke solche Weigerungen der HEW, „den Opfern von Greueltaten, an denen die HEW beteiligt“ war, „eine Entschädigung zu zahlen“. „Die HEW leugnen ihre besondere Verantwortung für die zu ihrem Nutzen ausgebeuteten Arbeitssklaven“, klagt Porschke. Brieflich forderte er die Hamburgischen Electricitätswerke auf, die Überlebenden von Alt-Garge zu entschädigen und ihr Firmenarchiv zu öffnen, damit „endlich dieses dunkle Kapitel der HEW-Geschichte aufgeklärt werden kann“.
Doch daran, so scheint es, haben die HEW wenig Interesse. In den zum Jubiläum von ihnen herausgegebenen „Hintergrund-Informationen“ zur eigenen Geschichte widmet der Stromversorger der Zeit zwischen 1933 und 1945 gerade mal 14 Zeilen, dem Kraftwerk Alt-Garge ganze drei. Einzige Information des Dreizeilers: Das Kraftwerk wurde von den HEW gebaut. Der Rest: Schweigen. Marco Carini
m 7. Juli 1882 notiert ein Beobachter der Ratssitzung: „Man konnte bei gutem Auge die Mitglieder und Gäste des Hauses deutlich erkennen, was früher nicht der Fall war.“ Hamburgs Hoher Rat hatte den Sitzungssaal der Bürgerschaft zum Testfeld für elektrisches Licht erklärt. Das aufregendste Erlebnis für die HamburgerInnen aber ist die Umstellung der Rathausmarktbeleuchtung von Gas auf Strom Ende 1882. 16 „Lichtbogenlampen“ spendeten zehnmal mehr Helligkeit als die 75 Gaslaternen zuvor.
Die Ausbreitung der „jungen Riesin“ Elektrizität geht rasant voran: Am 15. März 1994, werden die Hamburgische Electricitätswerke (HEW) gegründet. Sie soll 553.000 Hamburger mit Strom versorgen.
Das erweist sich als Riesenaufgabe: Auch das zwei Jahre nach Gründung der HEW eröffnete Kohlekraftwerk „Karoline“ – das mit seinen Verstrebungen, Blenden und Türmchen einer Kirche gleicht – deckt den wachsenden Energiebedarf nicht. Als auch die Stadtrandgebiete beginnen, auf Stromanschluß zu drängen, entschließt sich die Stadt 1914, in die Aktiengesellschaft HEW einzusteigen.
Zwei Wochen später bricht der Erste Weltkrieg aus. Bereits im ersten Kriegsjahr steigt der Stromumsatz der HEW um fast 50 Prozent. Munitionsfabriken, Werften und Nahrungsmittelindustrie produzierten auf Hochtouren. Und in der Nachkriegszeit verlangen Wiederaufbau und Wirtschaftsaufschwung zusätzliche Energie. Das Stromnetz wird ausgebaut, die Anwendungspalette der elektrischen Energie erweitert: 1922 wird am Stephansplatz die erste Verkehrsampel aufgestellt. Ab 1928 kochen feinere Hotels bereits mit Strom. Nur die skeptischen Hausfrauen bleiben trotz massiver Werbung der HEW lieber an ihren Gasherden.
Im Krieg erhält die HEW 1943 die Auszeichnung des „Kriegs-Muster-Betriebs“. Trotz Kriegsschäden und Beeinträchtigungen kann sie während der gesamten Kriegsdauer die Hamburger Stromversorgung sicherstellen. Allerdings werden Stromsperrtage für bestimmte Stadtteile eingeführt. Erst im Katastrophenwinter 46/47 bricht die Stromversorgung wegen fehlender Kohle erstmals zusammen. Tausende sterben an der Kälte und ihren Folgen.
Doch bald schon kündigt sich das Wirtschaftswunder an. Schon nach wenigen Jahren wird fast jeder Haushalt seine von den HEW propagierten elektrischen Haushaltshelfer besitzen.
In den sechziger Jahren stellen die HEW die Weichen Richtung Atom. Die zivile Nutzung der Kernenergie wird als unerschöpfliche Energiequelle gefeiert, die den wachsenden Energiebedarf der Bundesrepublik problemlos zu decken imstande ist.
Die HEW handeln schnell und gründlich: Am 29. Juni 1967 gibt der HEW-Aufsichtsrat den Startschuß zum Bau des ersten kommerziellen Kernreaktors; fünf Jahre später geht das AKW Stade ans Netz. Bald darauf folgten unter HEW-Beteiligung Brunsbüttel (1976), Krümmel (1984) und Brokdorf (1986). Innerhalb von anderthalb Jahrzehnten macht die HEW sich und die Stromversorgung der Hansestadt vom Atom abhängig.
Spätestens nach den „Schlachten um Brockdorf“ am 15. November 1976 und am 1.März 1981 wird klar, daß die Atomkraft zur gesellschaftlich umstrittensten Technologie geworden ist. Mehr als 50.000 DemonstrantInnen stehen 10.000 Polizisten gegenüber, Molotowcocktails und Stahlschleudern gegen Wasserwerfer, chemische Keulen und Schlagstöcke.
Über 460 Verletzte nach beiden Demonstrationen markierten den Preis der gewaltsamen Durchsetzung einer Technik, die viele Menschen als lebensbedrohlich empfinden. Ein viertel Jahr nach der zweiten „Schlacht um Brokdorf“ fordert der Atomreaktor das nächste Opfer: Hamburgs SPD-Bürgermeister Hans-Ulrich Klose tritt am 25. Mai 1981 zurück, weil ihm seine eigene Bürgerschaftsfraktion nicht beim Rückzug Hamburgs aus Brokdorf folgt.
Fünf Jahre später bestätigt die Reaktorkatastrophe von Tschernobyl die schlimmsten Befürchtungen der AKW-GegnerInnen. Eine Folge: Die SPD beschließt den im September 1986 den Atomausstieg und verankert ihn im Mai 1992 in der HEW-Satzung: mit der wesentlichen Einschränkung daß dieser wirtschaftlich vertretbar sein muß.
Die Ausstiegsbemühungen aber geraten schnell ins Stocken. Im Dezember 1993 kassiert die norwegische Regierung einen bereits unterschriftsreifen Vertrag, nachdem ab Anfang des nächsten Jahrzehnts norwegischen Wasserkraftstrom ins HEW-Netz eingespeist werden sollte. Die Wasserkraft sollte den Atommeiler Brunsbüttel überflüßig machen. Doch die Brunsbüttel-Mitbetreiberin Preußen Elektra hatte den Norwegern höhere Kilowattpreise geboten für den Wasserstrom geboten und die HEW-Offerte zum Kentern gebracht.
Marco Carini/Martina Parge
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