piwik no script img

Wenn Kolonisatoren schwach werden

■ „Disziplinarische Vorermittlungen“ wegen Kündigungen an der Humboldt-Uni / Dürkop erhält politische Rückendeckung

Wenn ein Kolonisator Schwäche zeigt, fressen ihn die Kollegen. Joachim Baeckmann, Personalchef der Humboldt-Uni (HUB), ist schwach geworden. Er hat die Unter den Linden anstehenden rund 2.000 Kündigungen (seit 1991) nicht einfach durchgezogen. Er hat mit den Kündigungskandidaten geredet, „um einen Rest Anstand in einer an sich unmenschlichen Sache zu bewahren“.

Jetzt gerät Baeckmann zusammen mit dem Kanzler der HUB, Rainer Neumann, in die Mühlen des Abwicklungskampfes, der seit der Wiedervereinigung um die Traditionsuniversität im Herzen Berlins geführt wird. Gegen die beiden sollen heute möglicherweise „disziplinarische Vorermittlungen“ eingeleitet werden. Festgestellt werden soll, inwieweit sie verantwortlich dafür sind, daß an der HUB 178 Kündigungen und 173 Änderungskündigungen nicht fristgerecht zum 31. Dezember letzten Jahres ausgestellt wurden. Bis dahin waren wegen des Einigungsvertrages Kündigungen leichter möglich.

Joachim Baeckmann hat das Vorurteil des Eroberers aus dem Westen widerlegt – und er verbuchte dennoch administrativen Erfolg: 779 Kündigungen wurden an der HUB seit 1992 vollzogen. Drei Viertel der weiteren rund 800 Änderungskündigungen schaffte er auf dem Wege des Änderungsvertrages. Damit werden unbefristete Arbeitsverhältnisse einvernehmlich in befristete umgewandelt. „Bei uns würde das niemand annehmen“, sagt Traugott Klose aus der Planungsabteilung der Freien Universität. Er glaubt, auch die FU-Personalverwaltung hätte 1.000 Kündigungen nicht binnen eines Jahres vollziehen können.

Joachim Baeckmann hat bereits jetzt einen hohen Preis für seine „dialogische Kündigungsmethode“ gezahlt. Von März bis November sammelte er 140 Tage (!) an Überstunden. Der aus Konstanz gekommene Personalchef fuhr jeweils um 4.30 Uhr morgens in die Universität, wo er bis zum späten Abend und auch am Wochenende arbeitete. Im Sommer klappte er zusammen – mit dem Verdacht auf Herzinfarkt.

Solche Fragen spielen in Berlin derzeit keine Rolle. Ein Aufschrei des Entsetzens ging nach Bekanntwerden der unterbliebenen Entlassungen durch die Stadt – verstärkt durch die hochschulpolitisch ansonsten uninteressierte Bild. Der Erneuerungsprozeß Unter den Linden habe schweren Schaden genommen, posaunte die CDU. Fraktionssprecher Liepelt sprach von „Sabotage“. Als Beispiel für die politische Motivation der Nichtkündigungen wurde erneut Dieter Klein, ehemaliger Prorektor und SED-Mitglied, aus dem Hut gezogen. Klein aber ist nicht wissenschaftlicher Mitarbeiter. Er hat schon vor weit über einem Jahr eine sogenannte Überhangprofessur erhalten. Inzwischen haben sich auch die Verdächtigungen gegen den angeblich von alten M/L- Kadern durchsetzten Personalrat als haltlos erwiesen. Der Personalrat hat keine Kündigung verhindert oder verzögert. Die PersonalvertreterInnen hielten sich penibel an die Fristen.

Völlig inkonsequent verhielt sich dagegen der Senat von Berlin. Obwohl der Regierende Bürgermeister Eberhard Diepgen erklärt hatte, Entlassungen nach Einigungsvertrag würden gar nicht oder nur in Ausnahmefällen vollzogen, mußte die Humboldt-Universität rund 1.000 wissenschaftliche Mitarbeiter nach genau diesen Regeln entlassen. Den Beschluß dazu fällte die Personalkommission, die an der Humboldt-Universität besondere Kompetenzen besitzt. Übergangsweise hat Wissenschaftssenator Manfred Erhardt (CDU) durch ein Ergänzungsgesetz den Stichentscheid. Selbst wenn die Uni den harten Entlassungskurs nicht hätte akzeptieren mögen – der Senator hätte sie dazu zwingen können. „Die Uni steht unter Besatzungsrecht“, so Kanzler Rainer Neumann.

Manfred Erhardt aber schiebt alle Verantwortung an die Humboldt-Universität weiter – noch. Gestern klagten mehrere Fraktionen des Abgeordnetenhauses die politische Rolle Erhardts selbst ein. Warum, so fragen sich Abgeordnete von Grünen, FDP und SPD, sollen die per Gesetz weitgehend entmachtete Präsidentin Marlis Dürkop und ein Beamter der Humboldt-Uni, der sich im Wortsinne krankgearbeitet hat, die Verantwortung für Entlassungen tragen, die der Senator politisch gewollt hat? Christian Füller

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen