: „Und jetzt das, verdammte Scheiße!“
■ Das mexikanische Militär beruft sich auf Emiliano Zapata – genau wie die Guerilleros / Die Armee ist im Chiapas-Aufstand ins Zwielicht geraten
Fünfundzwanzig Jahre sei er jetzt bei der Armee. „Und ich hätte nie gedacht, daß ich das mal benutzen muß.“ – Fassungslos zeigt er auf sein Maschinengewehr. – „Ich habe damit noch niemals außerhalb des Trainings geschossen.“ „Und wißt ihr was?“ vertraut er den beiden mexikanischen Reporterinnen an. „Hier im eigenen Land zu schießen, gegen Mexikaner, das fühlt sich echt grauslig an.“ Er wird wütend: „Mein Leben als Soldat habe ich bisher damit zugebracht, Kinder aus reißenden Flüssen zu retten. Dazu sind wir doch da: Wir sind eine Friedensarmee. Und jetzt das, verdammte Scheiße!“
Bis vor zweieinhalb Monaten hätte sich das niemand träumen lassen – seit Jahresbeginn herrscht Krieg in Mexiko, der erste, seit 1917 die jahrelangen revolutionären Gefechte zu Ende gingen. Denn die Feuerpause im südmexikanischen Chiapas ist eben trotz aller Verhandlungen bis auf weiteres nur genau das – eine Pause.
In seiner 77jährigen Geschichte hat das postrevolutionäre Mexiko weder jahrzehntelange offene Bürgerkriege noch Militärdiktaturen erlebt. Die „perfekte Diktatur“ (Mario Vargas Llosa) der seit sieben Jahrzehnten regierenden PRI- Partei ist eher dictablanda, eine softe Diktatur, als dictadura, da sie ihre Stabilität weniger auf die Macht der Gewehrläufe als auf eine allumfassende Manipulation der zivilen Gesellschaft stützt.
Entsprechend „eigenartig“ stellt sich die mexikanische Armee dar. Entstanden als Mischprodukt aus den besiegten Streitkräften des Diktators Profirio Diaz (1884–1911) und den revolutionären Truppen, rekrutiert sich die selbsternannte „Volksarmee“ bis heute tatsächlich aus den unteren sozialen Schichten. Ungewöhnlich für lateinamerikanische Verhältnisse ist an der mexikanischen Armee auch ihre Größe: ganze 105.000 Soldaten verteidigen die nationale Sicherheit von zirka 87 Millionen MexikanerInnen.
Das Andenken an Zapata wird auch heute noch in den oberen Militäretagen in Ehren gehalten: so nennt der Oberbefehlshaber über die mehr als 15.000 Soldaten im Krisengebiet Chiapas, Miguel Angel Godínez, die Aufständischen prinzipiell „diese Personen“ und nicht Zapatisten. „Sie müssen schon entschuldigen“, bittet er um Verständnis, „aber ich respektiere und bewundere Zapata sehr.“
Aufgrund der geopolitischen Lage des Landes – als Nachbar der übermächtigen USA, des winzigen Belize und des hoffnungslos unterlegenen Guatemala – haben äußere Feindbilder wenig Bestand im mexikanischen Militär. So hat die Armee vor allem nationale Funktionen: Katastrophenhilfe, Kampf gegen den Drogenanbau und, last not least, „die Aufrechterhaltung der inneren Sicherheit“. Die darin enthaltene Antiguerilla-Doktrin läßt das gerne kultivierte Bild einer „Volksarmee“ dann schon in einem etwas anderen Licht erscheinen.
Nach Angaben des Militärhistorikers José Luis Pineyro wurden schon 1966 erstmals 89 Militärs zur Antiguerilla-Ausbildung in die USA geschickt. Ein Jahr später gründete man die ersten Schulen zur Counterinsurgency-Ausbildung; im Jahre 1968 waren es schon 306 Zentren. Dennoch sind die Kenntnisse in der Counterinsurgency eher „theoretisch“ als praktisch fundiert, sagen übereinstimmend ein von der taz konsultierter General a.D. – der es vorzieht, ungenannt zu bleiben – und der Akademiker Sergio Aguayo.
Entgegen der verbreiteten Vorstellung von der engen Anbindung des mexikanischen an das US- amerikanische Militär ist, so Aguayo, kein „anderes lateinamerikanisches Heer so wenig von den USA abhängig wie das mexikanische“.
„Was natürlich nicht heißt, daß die US-Armee ihrerseits kein Interesse an einer Annäherung an die mexikanische Armee gehabt hätte“, räumt Sergio Aguayo ein, „nur die Mexikaner haben sich da immer auf Distanz gehalten“. Viel wichtiger – aber „viel weniger bekannt“ – als die militärischen Verbindungen zu den USA sei die Zusammenarbeit mit den zentralamerikanischen Militärs. Sergio Aguayo stellt das Aufnahmegerät für einen Moment aus: „Das ist überhaupt der Schlüssel.“ Wegen der „sehr delikaten“ aktuellen Lage sei diese Spur momentan aber nicht weiter zu verfolgen.
Das letzte Mal hatte das mexikanische Militär 1968 auf der Anklagebank gesessen: zwar sind die Details des blutigen Massakers auf dem Platz von Tlatelolco, als Hunderte von StudentInnen von ominösen Spezialeinheiten der Armee erschossen wurden, bis heute nicht bekannt. Einen Bruch im „volksnahen“ Bild der Armee habe das Massaker aber auf jeden Fall bedeutet – seither sind militärische Einsätze bei sozialen und politischen Konfliktherden „eindeutig reduziert.“ Diese tendenzielle „Entmilitarisierung“ innenpolitischer Probleme, so die These des Forschers, sei auch das Ergebnis der politischen Öffnung des Landes. Von einem Massaker an 18 DemonstrantInnen in Guerrero, im Jahre 1960, habe damals kein einziges ausländisches Medium berichtet; in Chiapas dagegen ist „die ganze Welt präsent und beobachtet sehr, sehr aufmerksam, was da passiert.“
Während Meinungsumfragen sonst das Militär als die „am meisten respektierte öffentliche Institution“ sehen, hatte die Armee im chiapanekischen „Volkskrieg“ allerdings eher den öffentlichen Unmut auf sich gezogen. „Stoppt das Massaker“ lautete die Parole, mit der die militärische Offensive – nicht ganz realitätsgerecht aber wirkungsvoll – als versuchter „Genozid“ gebrandmarkt wurde. In seiner ersten formalen Ansprache zum „absolut verfassungsgemäßen und legalen Einsatz“ in Chiapas beschwerte sich Verteidigungsminister Antonio Riviello Bazán am 9. Februar über „die Versuche, uns vom Volk zu distanzieren“ und über „diejenigen, die die Gewalt verherrlichen oder rechtfertigen“.
Aber der Miltär- und Menschenrechtsexperte ist zuversichtlich: der notwendige „Demokratisierungsprozeß“ würde durch Chiapas noch beschleunigt. „Chiapas zwingt alle dazu, daß endlich Themen angesprochen und die Tabus durchbrochen werden.“ Und in einer modernen Gesellschaft muß auch die Armee irgendwann anfangen zu reden.
Neu ist, daß aufgrund der zahlreichen Anschuldigungen über Menschenrechtsverletzungen seitens der Armee – am häufigsten: willkürliche Festnahmen und Folterungen, aber auch Erschießungen – wenigstens 80 Angehörige der Streitkräfte einer militärjuristischen Untersuchung unterzogen werden.
Beunruhigt sind nationale und internationale Nichtregierungsorganisationen derzeit allerdings über eine allzu großzügige Auslegung des Amnestiegesetzes: schließlich hatte der technische Sekretär der Amnestiekommission, José Narro Robles, Anfang Februar verkündet, daß in den Genuß der Straffreiheit nicht nur die Zapatisten, sondern auch Armeeangehörige kommen könnten. Im US-Kongreß äußerten amnesty international und Americas Watch die Befürchtung, daß die an sich begrüßenswerte Initiative sich dadurch in „eine faktische Straffreiheit für Menschenrechtsverletzer“ verwandeln könne.
Damit würde Mexiko dem schlechten Beispiel anderer lateinamerikanischer Länder wie Guatemala folgen, in denen immer wieder juristische Absolutionen für Armeeverbrechen erteilt werden. Anne Huffschmid
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