Sanssouci: Vorschlag
■ Nachtigall von Ramersdorf meets Dr. Caligari
Foto: Paul Langrock/Zenit
Wenn Berühmtheit sich allein nach dem Grad der Bekanntheit messen ließe, so wäre Friedrich Steinhauer, die „Nachtigall von Ramersdorf“, sicher einer der berühmtesten Künstler Berlins. Vor einem Jahr verabschiedete sich der Kneipensänger, Erzähler und Schauspieler von seinem Publikum eigentlich für immer mit einem umjubelten Konzert im „Babylon“-Kino. Aber natürlich sang er bald darauf schon wieder – für „ein paar Pfenninger“, wie gewöhnlich. Gleichzeitig präsentierte er sich im mittlerweile verdächtig friedlich entschlafenen „Rock-Radio B“ wiederholt als autobiografischer Erzähler. Meine Lieblingsgeschichte handelte davon, wie er mit zwölf Jahren ein Mädchen kennengelernt hatte. „Die wollte ich als Freundin haben. Und da hat meine Mutter gesagt: ,Solange ich lebe, brauchst du weder ein weibliches Wesen noch sonst jemand. Du brauchst niemanden. Sei froh, daß du deine Mutter hast.‘ Da hab' ich gesagt: ,Mama, dann schenk mir doch zumindest eine Puppe!‘ Da hat sie mir eine Puppe gekauft. Die hab' ich dann mitgenommen ins Kino. Die hab' ich neben mich gesetzt, und wenn mich jemand gefragt hat, hab' ich gesagt: ,Das ist meine Freundin.‘ Ich bin sehr oft ins Kino gegangen. Wo uralte Filme zu sehen waren, bin ich hingerannt.“
Jetzt ist er selbst zu sehen, als Teil eines uralten Films. Im „Balazs-Kino“ wird er „Das Kabinett des Doktor Caligari“ weiß geschminkt begleiten. Friedrich Steinhauer wird die Untertitel sprechen und wohl auch mal variieren, kommentieren. Es müßte eigentlich großartig werden, denn kaum ein Schauspieler paßt in seiner Art so gut in die zwanziger Jahre wie die „Nachtigall“ – und nicht umsonst hatte Rosa von Praunheim den Caligari einmal auch mit Friedrich neuverfilmen wollen. Ihm zur Seite am Flügel sitzt Susanne Gulich, die seinem Gesang schon an anderen Orten neue Qualitäten verliehen hatte. Das Film-Konzert ist Teil von 15 verschiedenen musik- resp. performancegestützten Caligari-Abenden, die das Balazs veranstalten möchte, und gleichzeitig Auftakt des zweiwöchigen „Abend der Gaukler“-Filmprogramms, in dem nicht nur Chaplins „Circus“ und Rabenalts „Circus Renz“, sondern auch Praunheims „Horror Vacui“ mit Friedrich Steinhauer in einer bezaubernd-rührenden Hauptrolle zu sehen sein werden. Detlef Kuhlbrodt
Heute, 20 Uhr im Balazs-Kino im Haus Ungarn am Alex direkt gegenüber der Marienkirche, Mitte.
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