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Ohne Hilfe zur Selbsthilfe

Im Nordwesten Somalias, der sich als „Somaliland“ selbständig gemacht hat, findet ohne UNO-Militärpräsenz und mit spärlicher auswärtiger Hilfe eine großangelegte Demobilisierung statt  ■ Aus Hargeisa Bettina Gaus

Jamal Mohammed Jarah ist erst 24 Jahre alt, aber er hat schon ein wechselvolles Leben hinter sich. Schon als Jugendlicher schloß er sich der Guerillabewegung im Nordwesten Somalias an, die in den achtziger Jahren die Hauptlast des Widerstandskampfes gegen das Regime des Präsidenten Siad Barre trug. Nach dessen Sturz Anfang 1991 gründete er eine Familie. Seine Kinder sind jetzt ein und zwei Jahre alt. „Ich möchte in der Landwirtschaft arbeiten, am liebsten im Bereich des Viehexports“, erzählt der junge Mann mit freundlichem Lächeln. „Das ist das beste Geschäft hier in der Region.“

Vorläufig verdient Jamal Mohammed Jarah seinen Lebensunterhalt mit der Waffe. Er gehört zu den rund 200 Milizionären, die den Flughafen der Stadt Hargeisa besetzt halten und von Passagieren Zwangsabgaben eintreiben: 20 Dollar pro Person. Die Männer tragen Gewehre, ihre Kleider sind zerrissen, ihre Bewegungen hektisch und nervös. Das Geld wird aufgeteilt. Es kommt zum Streit, Schüsse fallen. Ein Mann wird fortgetragen: Er ist am Bein verletzt.

„Wir sind bereit, uns entwaffnen zu lassen“, versichert Jamal. „Aber solange uns die Regierung nicht wenigstens das Minimum zum Überleben garantiert, so lange gibt es hier Probleme.“

„Die Regierung“ hat kein Geld – der Rest der Welt läßt nicht einmal gelten, daß es sie gibt. Dabei hat sich der Nordwesten Somalias schon im Mai 1991, wenige Monate nach dem Sturz Barres, für unabhängig erklärt und die Republik Somaliland mit der Hauptstadt Hargeisa ausgerufen. Die Führung der siegreichen Guerillabewegung SNM (Somalische Nationale Bewegung) hoffte, mit diesem Schritt verhindern zu können, daß die relativ friedliche Region in die Wirren des Bürgerkrieges im Süden Somalias hineingezogen würde.

Aber die Republik ist völkerrechtlich niemals anerkannt worden, obwohl sich die Sezession durchaus mit den Grundsätzen der Organisation für Afrikanische Einheit in Einklang bringen läßt, die die Grenzen der Kolonialzeit für unverletzlich erklärt. Das Territorium war seit Ende des 19. Jahrhunderts britisches Schutzgebiet und wurde 1960 allein unabhängig, vier Tage vor dem italienisch beherrschten Süden. Erst als sie beide unabhängig waren, schlossen sich die beiden somalischen Staaten zusammen.

Diejenigen, die heute für die Unabhängigkeit Somalilands eintreten, werden nicht nur von Vernunft geleitet, sondern auch von Gefühlen. „Wenn man das hier sieht, ist es schwer vorstellbar, daß wir uns je wieder von Mogadischu aus regieren lassen“, sagt Omar Ashari bitter. Der Geschäftsmann steht in der Ruine des alten Gästehauses der Regierung in Hargeisa. Der Boden ist zentimeterhoch mit zerbrochenen Dachziegeln bedeckt, Fensterrahmen und Türen sind herausgerissen, Waschbecken und Toiletten zerschlagen.

Die geschlagene Armee des Diktators betrieb bei ihrem Rückzug eine Politik der verbrannten Erde. Was ihr nicht mehr nutzen konnte, das sollte auch kein anderer bekommen. Weil das Regime die Guerillabewegung militärisch nicht besiegen konnte, führte es Krieg gegen die Zivilbevölkerung. Hargeisa wurde in Schutt und Asche gebombt, Brunnen wurden vergiftet, und mehr als eine Million Landminen, gelegt von der Armee Siad Barres, fordern bis heute Todesopfer.

Nach der Unabhängigkeitserklärung 1991 hatte die Regierung in Hargeisa auf internationale Hilfe gehofft. Die Hoffnung war trügerisch: Nur wenige Mittel flossen in die Region, die niemals weltweite Aufmerksamkeit auf sich gezogen hatte. Von der Hungersnot blieb Somaliland verschont. Hier herrschte einfach bittere, unspektakuläre Armut. Die Enttäuschung darüber wuchs, vor allem unter ehemaligen SNM-Kämpfern, die jahrelang von einem besseren Leben nach ihrem Sieg geträumt hatten. 1992 mündete die Verbitterung in Kämpfe zwischen Milizen. Die Regierung verlor jeden Einfluß.

Damals waren die meisten Beobachter überzeugt, auch Somaliland werde nun im Chaos versinken. Sie haben sich getäuscht: Mehrere hundert Älteste aller Clans einigten sich im letzten Frühjahr bei wochenlangen Verhandlungen darauf, Konflikte friedlich beizulegen und eine neue Regierung zu bilden. Die Friedenskonferenz fand ohne UNO-Truppen und ohne Fernsehkameras statt, und sie hatte Erfolg – aber noch ist Somaliland nicht aus der Gefahrenzone.

Was tut ein ehemaliger Guerillakämpfer, wenn Frieden herrscht? Mancher, der nie ein anderes Handwerk als das des Krieges gelernt hat, fühlt sich dann mit Mitte Zwanzig schon zum alten Eisen geworfen. „Es ist nicht einfach, seine Waffen niederzulegen und in eine unsichere Zukunft zu gehen“, sagt Alan Brooks aus Simbabwe. Er weiß, wovon er spricht: In seiner Heimat wurden 65.000 Widerstandskämpfer demobilisiert, als aus Rhodesien Simbabwe geworden war. Die Erfahrungen von damals sollen jetzt anderen nützen: Insgesamt acht ehemalige Guerilleros aus Simbabwe erarbeiten im Auftrag des UNO-Entwicklungsprogramms UNDP gemeinsam mit einer nationalen Regierungskommission einen Rahmenplan für eine landesweite Demobilisierung in Somaliland.

„Wir sehen Entwaffnung und Reintegration der Kämpfer in die Gesellschaft als gemeinsamen Prozeß an“, erklärt Alan Brooks. „Demobilisierung muß freiwillig stattfinden, und dafür ist die Lage hier reif. Die Leute sind willens, sich entwaffnen zu lassen.“

Viele sind sogar schneller dazu bereit, als die Regierung es organisieren kann: Im letzten Herbst versammelten sich Tausende von Milizionären spontan und unaufgefordert im Camp Mandera zwischen Hargeisa und der Hafenstadt Berbera, das eigentlich als Ausbildungslager für Polizisten geplant gewesen war. Sie legten ihre Waffen nieder und wurden seither dort mit Nahrungsmitteln versorgt. Aber vor wenigen Tagen haben Hunderte das Camp wieder verlassen und sind protestierend nach Hargeisa gezogen. „Der Vizepräsident hat ihnen bei einem Besuch die bittere Wahrheit gesagt: daß sie nicht alle Polizisten werden können“, erzählt Erziehungsminister Suleiman Adan.

Insgesamt sollen 3.300 Polizisten verschiedener Clans ausgebildet werden. Etwa die Hälfte arbeitet bereits, von der UNO bezahlt und mit Uniformen ausgestattet. Die Zahl der Milizonäre aber wird auf bis zu 50.000 geschätzt.

Die Kosten, die das Team aus Simbabwe für eine allgemeine Entwaffnung veranschlagt, sind erstaunlich gering: rund 1,5 Millionen Dollar in den ersten drei Monaten – für Unterkünfte, Nahrung, medizinische Versorgung und vor allem auch, um eine ordnungsgemäße Bewachung der abgegebenen Waffen sicherzustellen. Ein mittelfristiges Reintegrationsprogramm, das auch die Wiedereröffnung von Berufsschulen und Starthilfen für die Gründung kleiner Betriebe vorsieht, könnte mit weniger als 10 Millionen Dollar jährlich auskommen. Zum Vergleich: Die Kosten der Unosom-Militäroperation im Süden Somalias werden für ein Jahr auf 1,5 Milliarden Dollar geschätzt. Bislang aber sind nicht einmal die Mittel für die ersten drei Monate gesichert, obwohl einige Organisationen begrenzte Hilfe zugesichert haben. „Ich versuche, von dem, was in Mogadischu nicht unbedingt gebraucht wird, einiges lockerzumachen, zum Beispiel Fahrzeuge“, verspricht Alexis Abakoumoff, Unosom- Repräsentant in Hargeisa.

Somalilands Präsident Ibrahim Egal mag sein Vertrauen darauf nicht setzen. „Ich habe beschlossen, meine Zeit nicht mehr mit Diskussionen mit Unosom zu verschwenden“, meint er wenige Stunden nach dem Besuch einer UN-Delegation in Hargeisa. „Ich warte einfach ab, was sie uns geben. Bisher erfüllen sie ja nicht einmal ihre Versprechen im Bereich der Polizei. Mit der Zahlung der Gehälter sind sie drei Monate im Verzug.“ Nach einer kleinen Pause setzt er hinzu: „Sie haben keine Augen für irgend etwas, was außerhalb ihrer Türen in Mogadischu passiert. Es ist vollkommen sinnlos, mit ihnen zu diskutieren.“

Unterdessen mehren sich in Somaliland Stimmen der Ungeduld, die kein Verständnis dafür haben, daß die Regierung mit widerstrebenden Milizen verhandelt und nicht mit Gewalt gegen sie vorgeht: „Dafür habe ich nicht gekämpft, daß ich jetzt hier Lösegeld zahlen muß“, zischt Abdullah Abdi Musa, ein SNM-Mitglied der ersten Stunde, an einer der insgesamt acht Straßensperren, die Bewaffnete auf der Straße zwischen Hargeisa und Berbera errichtet haben. Auch hier werden von Reisenden Zwangsabgaben eingetrieben.

„Ich darf sie nicht mit dem Gewehr bekämpfen“, sagt Abdullah Abdi Musa einige Kilometer weiter mühsam beherrscht, als müsse er sich selbst überzeugen. „Ich muß Druck auf die Polizei ausüben, daß sie etwas unternimmt. So funktioniert das System. Immerhin hat die Regierung ihr Amt inmitten der Anarchie angetreten. Wir müssen ihr eine Chance geben.“ Die Chance sieht Präsident Egal auch weiterhin in Verhandlungen: „Älteste arbeiten an dem Problem der Straßensperren. Wir können alles auf freiwilliger Basis und friedlich lösen. Wir sind auf dem richtigen Kurs. Nichts gerät hier außer Kontrolle.“

Aber das Mißtrauen einiger Milizen, ob ihnen wirklich die Möglichkeit gegeben wird, ihren Lebensunterhalt zu verdienen, nutzen Gegner der Regierung für eigene Interessen: Dem Vernehmen nach versucht ein Politiker, der im letzten Frühjahr auf der Konferenz der Ältesten im Rennen um das Amt des Präsidenten unterlag, einige bewaffnete Gruppen mit Geld dazu zu bewegen, sich der Demobilisierung zu widersetzen.

„Zehn Millionen Dollar für die nächsten zwölf Monate könnten dieses Land vor Krieg bewahren“, meint Jeremy Brickhill, einer der simbabwischen Ex-Guerilleros. „Die Regierung kann entwaffnen, aber sie kann die Kämpfer nicht in die Gesellschaft reintegrieren. Für den Übergang von einer Kriegswirtschaft zu einer Friedenswirtschaft werden Mittel des Auslands gebraucht.“

Die sind schwer aufzutreiben: „Wir werden die Demobilisierung mit Nahrungsmitteln unterstützen, aber wir haben auch andere Verpflichtungen“, meint Mike French vom Welternährungsprogramm WFP. „Für uns als Organisation, die ausdrücklich ein Mandat für die Arbeit mit Kindern hat, ist es nicht leicht, sich direkt an einem Demobilisierungsprogramm zu beteiligen“, erklärt Peter O'Mahoney von der Hilfsorganisation „Save the Children“. Das Deutsche Notärztekomitee liefert seit dem Herbst immerhin jeden Monat siebzig Kamele.

Die Regierung bemüht sich unterdessen auch weiterhin um internationale Anerkennung. Dem UN-Sicherheitsrat liegt ein Antrag vor, in dem die UNO um Unterstützung und Überwachung eines Unabhängigkeitsreferendums gebeten wird, möglichst schon im Mai. Eine offizielle Antwort steht noch aus, aber UNO-Vertreter lassen bereits durchblicken, daß dem Begehren wohl kaum stattgegeben wird: In Somaliland habe es nicht einmal eine Volkszählung gegeben. Wie solle sich da ein Referendum abhalten lassen?

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