Jetzt fehlt nur noch Estland

■ Moskau und Riga einigen sich auf Abzug der 13.000 russischen Soldaten / Weitere Verhandlungen mit Tallin

Moskau (taz) – Rußland und Lettland feilschen zwar weiter um Dollars, aber – wenigstens vorerst – nicht mehr um Prinzipien. Über die leidige Frage, wann die letzten russischen Truppen aus dem Mini- Staat abziehen und unter welchen Umständen sie ihre Militärbasen dort auflösen, einigten sich die beiden Seiten am Dienstag. Abgeschlossen werden konnte ein Entwurf für einen Grundsatzvertrag zwischen beiden Ländern. Damit scheint der Weg zum Abzug der russischen Truppen geebnet zu sein, Ende April wollen Präsident Jelzin und sein lettischer Amtskollege Ulmanis den Vertrag unterzeichnen.

Zum Tag X, an dem in diesem Jahr der letzte der noch rund 13.000 in Lettland stationierten russischen Soldaten die Grenze heimwärts überschreiten soll, wurde wieder einmal der 31. August bestimmt. Gleichzeitig wird man dann das einjährige Jubiläum des endgültigen russischen Abzugs aus Litauen feiern können.

Einen Kompromiß fanden Moskau und Riga auch in der Frage, wie lange die Russen noch ihre Radarstation in Skrunde nutzen dürfen: Die lettische Regierung gewährte ihnen dafür vier Jahre plus 18 Monate für die Demontage des Objektes. So sieht das Resultat eines – oft harten – diplomatischen Tauziehens aus, das sich zwei Jahre lang in dreißig Verhandlungsrunden abspielte.

Einen Hauptstein des Anstoßes für die Vertreter Rußlands bildete dabei die Situation der demobilisierten Offiziere aus den heutigen russischen und ehemaligen UdSSR-Streitkräften in Lettland – ganz gleich, ob sie nun in Rußland aufgewachsen sind und an der Ostsee gedient haben oder als russischstämmige Letten nach dem Militärdienst in anderen Teilen der Ex-UdSSR lebten. In vielen Fällen der zweiten Variante wurde diesen Männern bisher das Aufenthaltsrecht in Lettland abgesprochen. Im vorliegenden Vertragsentwurf ist diese Frage nun endlich geregelt: Riga will den Armeeangehörigen, die sich bereits vor dem 28. Januar 1992 in Lettland niedergelassen haben, die lettische Staatsbürgerschaft und das vollständige Eigentumsrecht über alle ihre Immobilien gewähren. Derzeit haben rund 100.000 pensionierte russische Militärs ihren ständigen Wohnsitz in der Baltenrepublik, deren Gesamtbevölkerung bei 2,7 Millionen Einwohnern liegt. Aus dem Abkommen ausgeklammert wurden allerdings die bislang von Moskau geforderten Sofortmaßnahmen für einen verbesserten Status der russischsprachigen Minderheit in Lettland. Sie macht rund ein Drittel der lettischen Gesamtbevölkerung aus.

Auch in den Beziehungen zwischen Rußland und Estland ist die Frage nach dem Status der ehemaligen Angehörigen der Roten Armee bislang noch nicht geklärt. Die estnische Gesetzgebung diskriminiert russischstämmige Bürger in vielerlei Hinsicht. Obwohl der Abzug von beiden Seiten aktiv betrieben wird, halten sich dort noch russische Truppen in der Stärke von 2.000 Mann auf. Das Außenministerium in Tallin kündigte am Dienstag eine weitere bilaterale Verhandlungsrunde für den April an. Daß die russischen „Patrioten“ nach den Wahlen zur Moskauer Duma im letzten Dezember einen beträchtlichen Machtzuwachs verzeichnen konnten, hat offensichtlich sowohl in der Jelzin-Administration als auch bei den Führern der baltischen Staaten das Bedürfnis geweckt, in den bisher strittigen Punkten schnell vollendete Tatsachen zu schaffen. Mit weiterem Entgegenkommen von seiten Rigas und Tallins ist nach dem in dieser Woche erzielten Durchbruch daher zu rechnen. Sergej Sotow, der die russischen Verhandlungen mit Riga in letzter Zeit geleitet hat, ließ sich am Dienstag seinen Optimismus nicht im geringsten durch den Umstand versalzen, daß die Vorstellungen über die Mietsumme für die vereinbarte Nutzungsfrist der Station in Skrunde noch beträchtlich differieren. Die von Riga geforderten 400 Millionen Dollar hält Moskau für reichlich unverschämt und will seinerseits nur 2 Millionen auf den Tisch legen. Bis zur Unterzeichnung des Vertrages im April – meint frohgemut die Tageszeitung Kommersant – werde ein Mittelwert schon noch gefunden: „Irgendwo auf der Diagonale zwischen 400 und 2“. Barbara Kerneck