: Werder in Champagnersauce
Mit einem 1:1-Unentschieden gegen den AC Milan haben sich die Bremer die Tür zum Halbfinale der Champions League offengehalten ■ Aus Bremen Markus Daschner
Piero Petrozzelli hat ein halbes Leben in Mailand verbracht, die andere Hälfte in Bremen. Der Mittwoch war ein kleiner Feiertag für den 48jährigen Gastronom. Zum Spiel Werder Bremen gegen den AC hatte er eine schwarz-rote Milan-Fahne über seinem Spezialitätengeschäft „Al Carello“ (AC!) gehißt – übrigens durchaus im Einvernehmen mit seinem Nachbarn Aldo Giampietro, seines Zeichens Juventus-Turin-Fan und Betreiber eines Eiscafés. Der zeigte sich angesichts der schwarz-roten Euphorie gelassen. Für einen echten Juve-Fan hatte die Begegnung in Bremen eher provinziellen Charakter: „Werder gegen wen?“ Ausgerechnet an diesem Tag aber war die Köchin im krank. Und so stand Petrozzelli mit Schürze in seiner Küche, nahm Fische aus und rollte Pizzateig, kurz: schwitzte mit seinen Schwarz-Roten mit, denn auf der Kühltruhe im „Al Carello“ stand ein kleiner Fernsehapparat, der das Spielgeschehen bis an den Pfannenrand übertrug. Ein harter Job für Pietro, dazu nicht ungefährlich: Als Neubarth nach fünf Minuten die erste Werder-Chance vergab, sägte das Fleischmesser verdächtig nah und ziemlich unkontrolliert an einem Finger des Küchenmeisters entlang. Wenig später, als Hobsch dem italienischen Torwart Rossi in die Hände schoß, war die Klinge, welche die Scaloppinos trennen sollte, schon millimetertief in die hölzerne Unterlage eingedrungen.
Gottlob, daß Pietro in der 34. Spielminute gerade ein hauchzartes Filetto D'angnello agli aromi servierte: So blieb ihm erspart, mitansehen zu müssen, wie der gleiche Hobsch den gleichen Rossi mit Ball ins Tor schoß. Allerdings schirmte der italienische Keeper den Ball so gut ab, daß weder Linien- noch Schiedsrichter sehen konnten, daß die Torlinie längst überrollt war: vom Ball und vom Torwart. Die Fans knirschten. Auch 1989, als beide Mannschaften das erste Mal im Europapokal der Meister aufeinandertrafen, hatte es ein nicht anerkanntes Bremer Tor gegeben. Piero Petrozzelli erinnert sich noch gut an das Spiel, aber nur an das eine Tor, das die Mailänder nicht anerkannt bekamen. Damals endete das Spiel 0:0 und 14 Tage später der Europapokal für die Bremer in Mailand.
Kaum jemand in Bremen hätte gedacht, daß die Werderaner zu solchen Leistungen in der Lage wären. Das Blei aus den Knochen, mit denen sie sich durch die letzten Spiele gequält hatten: wie weggeblasen. Die Abwehr: vorbildlich im Zweikampf und im Spielaufbau; das Mittelfeld: flott und fintenreich. Der Sturm: beweglich, risikofreudig. Nach der ersten Halbzeit hätte es gut 4:0 stehen können. Der Geist von 1989 wehte wieder übers Stadion, als Bernd Hobsch in der 52. Minute im Strafraum zu liegen kam. Werder Bremen hat für solche Fälle Wynton Rufer, der den geschenkten Elfmeter dankbar verwandelte. 1:0 für Bremen, zu diesem Zeitpunkt noch verdient, denn der AC Mailand hatte die erste Halbzeit schlicht verschlafen. Wachte jetzt aber auf. Keinen Zweikampf konnten die Bremer mehr für sich entscheiden, von Spielaufbau keine Rede mehr, weil die Mailänder sehr früh störten, und das Mittelfeld wurde immer breiter getreten.
Fast zwangsläufig fiel der Ausgleich (74. Savicevic), ein Tor, das in der kleinen Küche des „Al Carello“ zwischen Misto Gambresi und Filetto al Pepe mit Genugtuung zur Kenntnis genommen wurde. Werder Bremen konnte am Ende froh sein, das Unentschieden erreicht zu haben: Ein Sieg in 14 Tagen gegen Porto: Dann wäre Werder Bremen an zweiter Stelle in der Tabelle der Champions League. „Glück gehabt“, sagte der unverletzte Piero Petrozzelli nach dem Spiel und räumte den Fernseher von der Kühltruhe. Es warteten noch Gäste auf ihr Gelato.
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