: CSU-Führung erodiert weiter
■ Nach Streibl und Gauweiler muß mit Gerold Tandler der dritte Spitzenpolitiker abtreten
München (taz) – Mit den Amigos in Bayern verhält es sich wie mit einer Unkrautplage: Kaum hat man das unliebsame Gewächs an einer Stelle ausgerupft, schon wächst es an anderer nach. Dem jüngsten Amigo-Sproß Gerold Tandler geriet die bayerische Speziwirtschaft gestern zum Verhängnis. Der Vizevorsitzende der CSU verkündete seinen Rücktritt, nachdem am Mittwoch die Kritik an seiner Person auch aus den eigenen Reihen immer lauter wurde. Zu seinem Nachfolger will Parteichef Theo Waigel Bundesgesundheitsminister Horst Seehofer vorschlagen.
Schon auf dem Parteitag der CSU im Oktober letzten Jahres war die Verfilzung Tandlers mit der Steueraffäre um den niederbayerischen Bäderkönig Eduard Zwick bekanntgeworden. Der hohe Privatkredit des 57 Jahre alten CSU-Spitzenpolitikers und ehemaligen Finanzministers bei Bayerns größtem Steuerschuldner war indes erst in den letzten Tagen bekanntgeworden: Tandler steht bei Zwick mit 200.000 Mark in der Kreide. Zwick gewährte dem CSU-Spitzenpolitiker 1976 ein Privatdarlehen in Höhe von insgesamt 700.000 Mark. Unter Tandler hatte das bayerische Finanzministerium 1990 Zwicks Steuerschulden in Höhe von knapp 71 Millionen Mark gegen eine Zahlung von 8,3 Millionen niedergeschlagen. Tandler wies gestern in einem Brief an CSU-Chef Theo Waigel den Vorwurf zurück, er habe auf den Steuerfall Zwick Einfluß genommen. Erst Ende 1993 machte der bayerische Finanzminister Georg von Waldenfels den Erlaß von Zwicks Schulden rückgängig. Die Angelegenheit ist insofern delikat, als mit der Niederschlagung von Zwicks Steuerschulden das Finanzamt auch auf sämtliche noch laufende Pfändungen gegen Zwick verzichten mußte. Die noch offenen 200.000 Mark, die Tandler seinem Spezi Zwick schuldet, hätten faktisch dem Finanzamt gehört. Der Fiskus hatte bereits 1983 versucht, die ausstehenden Rückzahlungen Tandlers zu pfänden. Tandler konnte die Forderungen des Finanzamtes jedoch abwenden, weil der Betrag samt den Zinsen nach seinen Angaben erst 1996 fällig sei.
Ebenso wie der „Schwarze Peter“ Gauweiler galt Tandler in der Ära Franz Josef Strauß als dessen Ziehsohn. Strauß setzte den damals in der Partei nahezu unbekannten Tandler 1971 als Generalsekretär durch. 1978 kürte er seinen Kronprinzen zum Innenminister. Unter Strauß konnte sich der skandalumwitterte Tandler noch allen Rücktrittsforderungen widersetzen. Immer wieder war er Zielscheibe der Kritik, zum Beispiel, als er sich mit dem Verbot der rechtsextremistischen „Wehrsportgruppe Hoffmann“ Zeit ließ oder als er die Polizei mit Gummigeschossen und chemischen Reizstoffen ausrüsten lassen wollte. Nach dem Tod von Strauß wurde Tandler Finanzminister. 1990 zog er sich in die freie Wirtschaft zurück. Der gelernte Bankkaufmann hatte zumindest im Privatleben kein Geschick in Geldgeschäften bewiesen: Er hatte sich mit dem Ausbau seines Gasthofes „Post“ in Altötting einen Schuldenberg von angeblich 17 Millionen Mark eingebrockt. Der Amigosumpf in Bayern hat mittlerweile Untiefen erreicht. Dennoch sagte CSU-Generalsekretär Erwin Huber gestern im ZDF, der Rücktritt Tandlers sei „in keiner Weise irgendein Schuldeingeständnis“. Bayerns Ministerpräsident Edmund Stoiber schlug besinnliche Töne an: Man dürfe Tandlers langjährige Verdienste „in dieser Stunde nicht vergessen“. Für die bayerische Landtagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen ist die Zwick-Tandler-Connection ein Indiz dafür, daß die „Verfallserscheinungen der CSU die Parteispitze erfaßt“ haben.
Annabel Wahba Seiten 4 und 10
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