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Definition geht vom Staate aus

■ Protestaktion an der Hafenstraße / Wortscharmützel rund ums Rathaus / Die Nagelprobe geht in zwei Wochen weiter Von Sannah Koch

Finale Schlachten werfen ihre Schatten voraus – Scharmützel um die Definitionsgewalt über Worte und Taten.

Die Tat: BewohnerInnen der Hafenstraße erklimmen Freitag morgen eine von ihnen in der Baulücke-Ost aufgestellte Stahlskulptur, um sie vor der Zerstörung durch die Motorflex von Bauarbeitern zu bewahren. Es folgt: Polizeieinsatz, Gerangel, Festnahmen und dann doch ein Rückzug der Uniformen.

Die Worte: „Symbolische Aktion für einen Dialog“ – „Behinderung der Bauarbeiten“.

Die Definition: Protest, Widerstand, Unfrieden... RÄUMUNG?

Wenn vier Menschen auf ein selbstgefertigtes Kunstwerk in ihrer Nachbarschaft klettern, das ihr Initimfeind, Wolfgang Dirksen, Chef der Hafenrand GmbH, unangemeldet wegen eines verhaßten Bauvorhabens abreißen lassen will, und die vier nicht freiwillig wieder herunterklettern – ist das dann der endgültige Beweis dafür, daß hundert andere Menschen ihr Recht auf Wohnen am Hafenrand verwirkt haben sollen?

Jawoll, sagen die, die alles eh schon immer besser gewußt haben wollen: „Krawallmacher aus dem Hafenstraßennest, jetzt unverzüglich räumen“, tönte der Bezirkshinterbänkler Boris Bochnick (SPD-Nest Mitte). Mit im Boot: CDU und FDP.

Quatsch. Meint die GAL-Abgeordnete Susanne Uhl. „Es ist das gute Recht der Hafenstraße, bis zuletzt den Dialog über die künftige Bebaung der Baulücken zu verlangen.“ Das genau sei es gewesen, erklärt ein Kletter-Akteur, was sie mit ihrer „symbolischen Aktion“ versuchen wollten – gegen die Schaffung vollendeter Tatsachen und für einen weiteren Dialog zu demonstrieren. Bezahlt haben sie mit Festnahmen, einer sogar mit einer gebrochenen Hand.

Ganz oben auf der Rechnung notierte einer das Wort „Unverständnis!“ Handschrift: Wolfgang Dirksen. „Ich bin erstaunt und erschrocken über dieses Verhalten. Das entspricht nicht der von Voscherau geforderten Friedfertigkeit.“ Aktiven Widerstand, räumt er aber ein, hätten die BewohnerInnen nicht geleistet. Er diktiert: „Ich bin bereit, den Vorfall zu vergessen, wenn er sich beim nächsten Versuch nicht wiederholt.“ Der Termin für die nächste Nagelprobe wird gleich mitgereicht: Am übernächsten Dienstag (29. März) soll die Flex erneut zum Einsatz kommen.

Ein bißchen geschummelt hat er auch, der Herr Dirksen mit seiner Erklärung: „Ich habe die Räumung der Neubaufläche abgebrochen, um den Konflikt nicht eskalieren zu lassen.“ Den Befehl zum Rückzug, den gab Senator Thomas Mirow morgens aus dem fernen Bonn. „Ich will weiter meinen Beitrag leisten, die Sache auf den richtigen Weg zu bringen,“ erklärt er sich gegenüber der taz. Und nochmal, dieser Weg ist: „Der Senat wird in dieser Baulücke mit dem Bau der Sozialwohnungen Tatsachen schaffen.“

Noch am Mittwoch hatte Mirow einer Delegation aus St.Pauli erklärt, sie hätten natürlich das Recht, Protest gegen die Hafenrand-Bebauung zu äußern. Kunstbesteigung zählt für Mirow allerdings nicht dazu: „Es ist kein legitimer Protest, einen Eigentümer so an seinem Bauvorhaben zu hindern.“

Donnergrollen an der Frontlinie.

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