Maßstäbe für die Umwelt mit Öko-Label

■ Diskussion über ökologischen Tourismus in Europa. Grüner Koffer als Garantie

Wo es an öffentlicher Umweltpolitik mangelt, springen private Initiativen in die Bresche. So ÖTE (Ökologischer Tourismus in Europa e.V.), ein Forum für überregionale Organisationen wie dem Deutschen Naturschutzring, die sich für umweltverträglichen Tourismus stark machen. Dem Marktprinzip folgend, daß sich Umweltverbesserungen nur durchsetzen lassen, wenn „saubere“ Produkte angeboten werden, will er europaweit verbindliche Maßstäbe setzen. Seit 1991 rührt der Verein unermüdlich an einem Öko-Label, dem „Grünen Koffer“, um damit Fremdenverkehrsgemeinden, Beherbergungsbetriebe und Reiseveranstalter für ökologischen Tourismus auszuzeichnen.

Im Grunde genommen sind es Selbstverständlichkeiten, die prämiert werden, denn was ist eine Sommerfrische wert, wenn die Luft schlecht ist, der Verkehr ätzend, die Wasserqualität miserabel, wenn sich die Müllberge türmen und die Landschaft insgesamt nicht mehr anspricht? Sie dürfte gar nicht angeboten werden. Oft ist es mehr oder weniger Makulatur, was hinter den Prospekten über naturnahe Idyllen steckt. Der „Grüne Koffer“ soll für Echtheit bürgen.

Tatsächlich greift ÖTE damit in den sogenannten Wettbewerb ein – und will dies auch so. Orte, die umweltverträglich wirtschaften, sollen mit dem Gütesiegel werben können. Sie werden „belohnt“, wie es Helmut Röscheisen bezeichnet. Je verbindlicher die Kriterien sind, je weiter das Gütesiegel in Europa verbreitet ist, um so attraktiver wird es für den Tourismus werden, so die Logik. Und schließlich kann sich keiner mehr dem Zwang zum Öko-Outfit verschließen. Grüne Oasen leuchten so in einem vereinten Europa. Doch ÖTE hat es mit der Durchsetzung schwer. Mindestens zwei Probleme wird das Label nie lösen können: Zum einen können Gemeinden bei allen Anstrengungen keine generellen Umweltprobleme kompensieren, zum anderen ist jeder Ort verschieden – auch infrastrukturell. Will man Verbindlichkeit, so müssen die Vergabekriterien immer weiter heruntergeschraubt werden. Ob vier oder vierhundert Mindestmaßnahmen für Umweltverträglichkeit gefordert werden, ist dann letztendlich egal. ÖTE denkt praktisch-patent wie bei Olympischen Spielen jetzt über den Koffer in Gold, Silber oder Bronze nach, um den Schwierigkeiten aus dem Weg zu gehen.

Die Kritik, die Tourismusfachleute wie der Schweizer Professor Hans-Ruedi Müller an dem Konzept geübt haben („Öko-Gütesiegel beinhalten die Gefahren eines massiven Informationsverlustes, einer Bevormundung der Gäste und stellen eine Art Bankrotterklärung an die persönliche Ethik dar“), kam allerdings nicht zur Sprache – die Veranstalter denken an künftige Erfolge. Röscheisen konnte bekanntgeben, daß eine Umfrage unter spanischen Gemeinden ein großes Interesse erkennen läßt; selbst Albanien – „ein armes Land“, will voll auf den Öko-Tourismus setzen. Im nächsten Jahr soll die erste Gemeinde prämiert werden.

Aber anders als beispielsweise Österreich, das mit dem Projekt Dorftourismus Maßstäbe setzte, will ÖTE nicht Nischen vermarkten. Röscheisen will „retten“. „Unser Ziel ist es, 10 bis 15 Prozent der Orte zu erhalten.“ Wer sich die „Belohnung“ holen will, muß dafür mehr tun als lediglich Bettenkapazitäten festschreiben oder, wie bei der „Blauen Flagge“, die Badewasserrichtlinien der EG einhalten. Das ganzheitliche Konzept des Grünen Koffers erfordert „Umdenken“ und eine andere „Werthaltung“. Wo bislang nichts ist, soll Umweltbewußtsein erst installiert werden. Die Gemeinden sollen lernen, umweltverträglich zu wirtschaften.

Hier allerdings berührt ÖTE einen Knackpunkt: Das Umweltengagement kostet nämlich viel Geld! „Für 10.000 Mark ist nichts zu machen“, betonte Mathias Behrens-Egge vom Büro für Tourismus- und Erholungsplanung. Er schätzt die durchschnittlichen Gesamtkosten (je nach Gemeindegröße) allein für das erste Jahr auf 40.000 bis 70.000 Mark. Das ist viel Geld für kleine Gemeinden. Der Bürgermeister von Freudenstadt im Schwarzwald, einer Gemeinde, die seit Jahren als Mustergemeinde des Sanften Tourismus von sich reden macht, legte nach: „200.000 Mark pro Jahr kostet uns allein die Luftmeßreihe, die wir fahren.“

Umweltverträglichkeit ist heutzutage nicht mehr ohne Investitionen zu haben. Die Umwelt, dies machte die Veranstaltung deutlich, kostet uns fürderhin viel Geld. ÖTE testet so letztlich, wer im Tourismus bereit ist, die Kosten zu übernehmen. Christel Burghoff