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Betr.: "Offen offensiv", taz vom 9.3.94

Bonengels „Beruf: Neonazi“ und Templins Interview in der Jungen Freiheit: Gibt es da keinen Unterschied? Doch da liegt Schiet unter. Bonengels Film ist eine Dokumentation, ein Zustandsbericht über einen bedeutsamen Aspekt der neonazistischen Szene, der eine geeignete Grundlage für eine Auseinandersetzung mit diesem Thema abgibt. Templins Gastspiel hingegen führt tatsächlich nur zu einer Aufwertung des braunen Kampfblattes.

Bonengel ist Filmemacher. Eine effiziente Wirkungsweise journalistischer Berichterstattung, und als dies verstehe ich seinen Film, kann die scharfe Trennung von Tatsachenwiedergabe und Meinung sein. Ich denke nicht, daß diese Trennung in jedem Fall der beste Weg ist. Hier aber halte ich diese Form für sehr effektiv. Natürlich verfolgt Bonengel mit diesem Film ein politisches Ziel. Einige behaupten, er schaffe mit der Vorstellung Althans' eine Identifikationsfigur für die neuen Rechten, ja der Film diene gar als PR-Requisite für bislang noch Unentschlossene, die sich der „Bewegung“ womöglich anschließen wollen. Einige unterstellen gar, dies sei von Bonengel gewollt.

Nun soll man in der Tat nicht allzuviel Vertrauen in die deutsche Bevölkerung setzen. Ich denke aber nicht, daß „Beruf: Neonazi“ so vordergründig wirkt, geschweige denn intendiert ist. Daß die überzeugten Ewiggestrigen sich weder durch den Film noch ohne den Film oder aufgrund einer kommentierten Fassung von ihrem „rechten Weg“ abbringen lassen, wurde schon mehrfach geäußert. Aber gerade die vielzitierte Szene in der Auschwitzer Gaskammer, die dort herrschende Sprachlosigkeit ob einer unvorstellbaren Chuzpe dieses Althans, demaskiert meiner Meinung nach in trefflicher Weise die Mär von der erfolgreich abgeschlossenen Aufarbeitung der deutschen Geschichte, wie sie so überzeugte und überzeugende Antifaschisten aus Regierung und „Opposition“ nicht müde werden zu verbreiten. Der Film macht deutlich, daß da kein demokratisches Bollwerk gegen ein paar tumbe Skinheads steht, sondern daß ein Herunterspielen der Gefahr völlig fehl am Platze ist. Dem Bollwerk fehlt es reichlich am verfugenden Zement, und die tumben Skinheads verdecken den Blick auf gefährliche zähnebleckende Bestien. Auch der gerichtliche Verfügungsreigen um Erlaubnis oder Verbot der Filmvorführung ist symptomatisch für die deutsche Verwaltungsmentalität bezüglich deutscher Geschichtsschuld. Deutschen ist Widerstand immer noch keine Selbstverständlichkeit.

Templin hingegen ist Politiker. Ein Politiker soll Standpunkte formulieren und versuchen umzusetzen. Ein Thema, zu dem ein Vertreter einer Partei von recht fortschrittlicher Couleur sich äußern kann, ist durchaus die Frage um das Verhältnis der Linken zum Nationalismus. Ein anderes Thema, zu dem sich ein politischer Mensch heutzutage äußern muß, ist der Rechtsradikalismus.

Was Templin als Durchbrechen von Tabuzonen bezeichnet, das Akzeptieren der Schreiberlinge der Jungen Freiheit als hypothekenfreie und als Journalisten ernstzunehmende Gesprächspartner, ist nicht provokant. Es ist in höchstem Maße ignorant. Bevor man sich in einem derartigen Interview auf irgend etwas einläßt, muß man darauf insistieren, einen Beweis dafür zu bekommen, daß für das Abfackeln türkischer Wohnhäuser nicht die Schriften der Jungen Freiheit als (argumentative) Lunte dienten. Ist das nicht möglich, fehlt jede Basis für weitere Fragen.

Bonengel enthält sich eines Kommentars – und wird um so deutlicher. Templin enthält sich eines Kommentars – und sorgt für Sichtweiten unter 50 Jahre. Philipp Marth, Duisburg

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