Die Neugier ist vorbei

Die Computer-Messe Cebit wirbt für die digitale Zukunft. Aber es gibt nicht viel Neues im Cyberspace zu sehen. Und was wird aus dem Schrott?  ■ Aus Hannover Donata Riedel

Links oben läuft in Farbe der Film „Terminator“, unten rechts klebt ein Porträtfoto, dazwischen, aufwendig umbrochen, ergießt sich ein Text über die Bildschirmseite. „Sie wollen den Film etwas größer? Oder vielleicht noch eine Grafik in die Mitte des Textes einblocken?“ fragt der Vorführer des neuen „Power Macintosh“ in das Gedränge vor dem Apple-Stand. In kürzester Zeit bastelt der neue Personal Computer dreidimensionale Darstellungen und wissenschaftliche Grafiken, dreht und wendet und verschiebt sie. Das Cebit-Publikum staunt und staut sich. Bilder schlucken massenweise Rechnerleistung, weshalb bislang nur Spezialisten an speziellen Grafik-Computern zu derartigen Vorführungen in der Lage waren. Die taz-PCs sagen bereits „Moment bitte“, wenn sie nur diesen Text grafisch darstellen sollen. Aber jetzt, das suggeriert der ungefähr 30jährige Apple-Mann, wird jedermann sein eigener Grafik-Profi, jede Frau zur Filmemacherin am PC. Nebenbei gehen Faxe aus und ein, und jederzeit auch ist die Videokonferenz mit den Geschäftspartnern in den USA möglich, wenn Sie nicht gerade eine Uni- Bibliothek, die auf einer CD- ROM gespeichert ist, nach einem bestimmten Buch absuchen.

Mißtrauen regt sich im Publikum. Wann das denn alles tatsächlich so im Computershop zu kaufen sei? Fragt ein Mittvierziger. Der Apple-Mann muß zugeben, daß er es genau nicht weiß. Wie so häufig in der informationstechnologischen Branche mischt sich die Zukunftserwartung in die Präsentation einer Technik, die schon verfügbar ist – im Prinzip wenigstens. Im Prinzip auch kann fast jede alte Software auf dem neuen Power-Mac laufen – nur ist der dann nicht mehr so schnell, weil die Anpassungsprogramme zuviel seiner Kraft aufzehren. Im Prinzip versteht der Rechner sogar gesprochenes Wort – in Zukunft, natürlich, und dann auch nur ordentliches Englisch. Weil nämlich so ein Programm, sagt der Vorführer zu einem pickligen Jüngling, sich gar nicht lohnt, ins Deutsche übersetzt zu werden.

Die Firma Apple erklärt dem marktbeherrschenden Chip-Hersteller Intel den Krieg – und niemand schaut hin. Wird der Standard für den PC der Zukunft von den Power-PC-Chips gesetzt oder doch eher vom Pentium-Prozessor von Intel, dem Star des letzten Jahres? Die Menschen, die zahlreich wie eh und je über das naßkalt-zugige Messegelände hetzen, zucken die Achseln und warten ab. Denn Apple ist mehr der kleine David – der Power-PC-Prozessor wurde mit IBM und Motorola entwickelt – und neu ist die Basistechnik, der Risc-Chip, auch nicht. Und wer weiß schon bei der Firma IBM, die ja die Computer der Gegenwart zum größten Teil mit Intel-Chips baut, ob sie nicht doch auch die Pentium-Technik nutzen wird.

„Haben Sie eigentlich schon irgend etwas Interessantes entdecken können?“ fragt der Pressesprecher von Olivetti die Redakteurin eines Computermagazins. Sie schüttelt den Kopf, gähnt und rafft sich auf zum Weitergehen. Drei weitere Hallen muß sie heute noch schaffen, 21 gibt es insgesamt. Auch der Pressesprecher gibt zu, daß er nur hier ist, weil das nun mal zu seinem Job dazugehört. Und zwei Buchhalter eines schwäbischen Auto-Zulieferbetriebes diskutieren, ob es wirklich nötig sei, noch fünf weitere Software-Stände abzuklappern. „Die können wir doch nach der Cebit ganz in Ruhe anrufen“, meint der eine. „Hier verteilen sie ja bloß Prospekte.“

Einheitlich grau sind die Plastikgehäuse der PC-Monitore. „Zu mehr Aufmerksamkeit verhelfen Ihnen die Farben Schwarz, Rot, Blau und Grün“, wirbt Konica für seine Farbkopierer. Extra bunt flimmern aber die „grafischen Benutzeroberflächen“. Symbole sind anzuklicken, um ein bestimmtes Programm zu starten, häufig nicht einmal mehr mit der Maus: Wie Kleinkinder patschen erwachsene Männer und Frauen mit der Hand auf den Bildschirmen und Balkensymbolen herum. Nüchtern erklärt das Standpersonal, in den Farben der jeweiligen Firma gekleidet, die Funktionsweise der Ausstellungsstücke. Technikmüde scheinen die meisten schon am ersten der acht Cebit-Tage – es ist halt ein Job.

Die Zeiten, in denen die Computerindustrie Zukunftserwartungen schon in der Gegenwart als Produkt verkaufen konnte, sind gründlich vorbei. Keine der angeblichen Messeneuheiten kommt so gut an, wie die Cebit-Karikatur der Computerwoche. Sie zeigt einen Messestand, an dem ein Mann im Anzug das Rad, „absolut rund, mit Nabe, voll drehbar“, als sensationelle Neuheit anbietet.

Jedoch: So gut wie das Rad funktioniert hier vieles noch lange nicht. Auch in diesem Jahr zeigen zahlreiche Firmen in den Cebit- Hallen 5 bis 9 Notebooks, auf deren Bildschirm man, wie in ein Notizbuch, mit einem (elektronischen) Stift schreiben kann. Der Computer jedoch erkennt bestenfalls drei von fünf Buchstaben, selbst wenn man Druckschrift schreibt und jedes Zeichen in ein dafür vorgesehenes Kästchen einträgt. Die falschen Buchstaben kann man korrigieren – nur dauert das Ganze so lange, daß selbst Menschen, die noch nie eine Schreibmaschine angefaßt haben, mit einer Tastatur denselben Inhalt sehr viel schneller hätten eingeben können. „Nun ja“, meint der junge Mann am NEC-Stand und kratzt sich am Kopf. „Wir wollen zunächst nur Formulare zum Ankreuzen anbieten.“

Vor einem Jahr noch hätte er vermutlich die Handschrift der Kundin kritisiert. Damals beschimpften die Aussteller allzugerne ihr Publikum: Viel zuviel Laufkundschaft treibe sich unter den 600.000 Besuchern der Cebit herum. Die vielen Ahnungslosen würden die Prospekte abgreifen, und dabei die Stände so blockieren, daß das hochkarätige Fachpublikum gar nicht mehr durchkommen könne. Zu spät erst dämmerte den Computerherstellern: Es wollte anscheinend gar niemand zu ihnen durchkommen. Die Branche erlebte 1993 das schlechteste Jahr ihrer Existenz, verlor im Schnitt zehn Prozent Umsatz und Arbeitsplätze und lernt nun mühsam ein Basisgesetz der Marktwirtschaft: Der Kunde ist König. Auch die Laufkundschaft, denn meistens arbeitet sie, wie 37 Prozent der westdeutschen Arbeitsplatzbesitzer, an irgendwelchen Computern.

„Wachstum gibt es nur noch im Bereich Software und Service“, sagt Peter Eisenbacher am Stand der IBM Deutschland. Mit der Hardware erwirtschaftet seine Firma nur noch die Hälfte der 14 Milliarden Mark Jahresumsatz. Gediegen, seriös, aber trotzdem hochmodern präsentiert sich der weltgrößte Konzern der Informationstechnik-Branche. „Luther digital“ heißt ein Mammutprogramm, auf dem sich eine alte Bibel im Großformat durchblättern läßt. Die alten Farben treten deutlicher zutage als im Original. Natürlich an die Laufkundschaft wendet sich ebenfalls der virtuelle Bummel durch die bisher nur als Computersimulation wiederaufgebaute Dresdner Frauenkirche. Die wenigen Glücklichen, die nach langem Schlangestehen einen Platz ergattert haben, können dann sogar als Engel durch das simulierte Kirchenschiff schweben.

Den Unternehmen, die sich neue Computer anschaffen wollen, dienen die Hersteller sogenannte Komplettlösungen an, in welche die in der Firma bereits vorhandenen Programme eingepaßt werden – bis sie, und das ist der Service, tatsächlich laufen. Solange niemand namentlich zitiert wird, gibt das Standpersonal inzwischen offen zu, daß die gesamte Branche die anfängliche Computerbegeisterung der Kundschaft selbst zerstört hat. „Weihnachten gibt's neue Computer in der taz“ – die Ankündigung der Geschäftsleitung ist eine Horrorvorstellung: Systemabstürze kurz vor Redaktionsschluß, Streß, Chaos. Wen interessiert da die höhere Rechengeschwindigkeit, die größere Speicherkapazität, der eigentlich verlockende Zugriff auf diverse Datenbanken?

Toshiba „macht Leistung tragbar“, verspricht der japanische Hersteller von Laptops und Notebooks. Bei den meisten aber liegt den Schwerpunkt auf „Leistung“, also speicherplatzfressende Farbbildschirme und Grafikprogramme. Zu tragen sind bei den gängigen Modellen immer noch drei Kilo – oder die Tastatur ist kleiner und verhindert flüssiges Schreiben. In den Hallen 7 und 8 verstauen an den Ständen mehrerer Firmen hilfreiche Damen und Herren „das mobile Büro“ in passende Hartschalenkoffer: Ein Laptop, ein Fax, ein Mobiltelefon, Akkus, Netzteile – sehr praktisch für den Manager mit Chauffeur und Kofferträger. Im Prinzip könnte das Fax über die neuen, scheckkartengroßen PCMCIA-Chipkarten auch direkt im Laptop landen. „Aber die meisten wollen lieber einen Ausdruck auf Papier“, sagt die Frau am NEC-Stand.

Altes Denken, wenig Kreativität prägt die Cebit. Die selbstorganisierte Ecke der Computerfreaks ist längst Geschichte, das Thema „Datenschutz“ als rein technisches Problem, Datenbanken vor dem unbefugten Zutritt Fremder zu schützen, in Halle 18 verbannt. Die totale Kommunikationsgesellschaft auf der Datenautobahn – na und? Wo schon den Technikern die Begeisterung fehlt, versiegt auch ihren Kritikern die Phantasie. Bleibt aus dem Themenkatalog der Technikkritik der Umweltschutz. Was wird eigentlich mit den giftigen Rückständen, die ein ausrangierter Computer hinterläßt?

Der Kabelsalat und Platinenschrott liegt im Eingangsbereich der kleinsten Messehalle 15. Grünpflanzen bemühen sich, darauf Halt zu finden. Preßspanstellwände, dunkle Bodenbeläge bilden den Kontrast zu den grauweißen Plastikensembles der 20 übrigen Hallen. Es gibt Stofftaschen zu kaufen und Blumentöpfe zu gewinnen. 45 Aussteller, mehrheitlich kleine Recyclingfirmen, Umweltbehörden und Uni-Fachbereiche, haben eine Öko-Nische eingerichtet – im Auftrag aller 5.727 Cebit-Aussteller, die über ihre Standgebühr die Ausstellung „Computer und Umwelt“ unterstützen. „Unser Programm setzt guten Willen voraus“, sagt Organisator Arno Evers. „Wir sagen eben nicht: Nimm den Katalog und stirb.“

Nur aus wiederverwertbaren Materialien hat das Behindertenzentrum Hannover die Stände gebaut. Für die Bodenbeläge kam recycelter und gepreßter Computerschrott zum Einsatz. An Pinnwänden sollen die Besucher Ideen anbringen, wie der Computer der Umwelt zunutze gemacht werden könne. Alle großen Computerhersteller treten als Sponsor auf. Und lassen sich ansonsten nicht blicken.

Einsam steht darum der Öko-PC von Siemens-Nixdorf in einer Ecke. Nur ein Prospekt, diesmal nicht hochgläzend, listet auf, wie die Firma durchaus ernsthaft daran arbeitet, schon bei der Konstruktion an die Wiederverwertbarkeit der Materialien zu denken. Wer aber wissen möchte, wie groß der Anteil des Öko-PC an der Gesamtproduktion von Siemens-Nixdorf ist, ob er teurer ist als andere, sucht auch an den anderen Cebit- Ständen vergeblich um Auskunft nach. Bei NEC erläutert der Umweltkoordinator, Ulf Doerner, welche Software, zum Beispiel zur Erstellung von Ökobilanzen, seine Firma entwickelt. Die britische ICL stellt ihr Recyclingkonzept vor. Ein bißchen Öko schmückt jeden Computerbauer, mögen sich die Konzernherren gedacht haben, und verpassen dabei den Anschluß an die nächste Generation. Das Publikum von „Computer und Umwelt“ ist zwischen 13 und 23 erwartet von der Branche mehr als altmodische Computerspiele.