: Platter Unfug sucht Reform-Kohl
■ Joschka Fischer und Rudolf Scharping geben Auskunft über Rot-Grün nach der Bundestagswahl
Bonn/Frankfurt (taz) – Während die Demoskopen eine rechnerische Mehrheit für Rot-Grün in Bonn prognostizieren, halten sich die politischen Protagonisten noch bedeckt. Im Interview mit der taz betont SPD-Kanzlerkandidat Scharping (der bei den Grünen „platten Unfug“ wirken sieht), er werde sich zum jetzigen Zeitpunkt keine Koalitionsdebatte aufdrängen lassen, „auch nicht durch die Hintertür“. Gleichzeitig schloß er allerdings eine Große Koalition aus. Trotzdem glaubt er, daß sich der SPD nach der Wahl mehrere Partner anbieten werden. „Das senkt bekanntlich den Preis.“ Joschka Fischer will die Grünen aber nicht im Sonderangebot verramschen – schon gar nicht an den „Reform-Kohl“. „Wenn wir grüne Politik in einer Koalition nicht wiedererkennen können, plädiere ich für die Opposition.“ Wie schwierig konkrete Verhandlungen zwischen Bündnis 90/Grünen und SPD werden können, zeigte sich bereits bei der Vorlage eines SPD-Regierungsprogramms. In einem Kernbereich möglicher Reformen, der Verkehrs- und Energiepolitik, will Scharping die Forderung nach einem durchgängigen Tempolimit fallenlassen. In der taz verteidigte er diese Kehrtwende mit der These, man „brauche statt dessen differenzierte Lösungen. Nur ein Schild hinzustellen mit einer Höchstgeschwindigkeit ist ja nicht sehr einfallsreich.“ Statt auf staatliche Bevormundung setzt Scharping wieder einmal auf Einsicht beim ADAC: „Bei einem flexiblen Umgang kann man die technischen Möglichkeiten und das Verantwortungsbewußtsein der Leute miteinander verknüpfen.“ Fischer ist nicht ganz so optimistisch, was die pure Einsicht in die Notwendigkeit angeht: „Wir brauchen eine Strukturrevolution in der Energie-, Verkehrs- und Abfallpolitik.“ Allerdings sieht er die Chancen dafür besser werden: „Die Gesellschaft fängt an, sich in Richtung Aufbruch zu bewegen. Die These, es gebe kein Reformklima, stimmt so nicht mehr.“ Zumindest in diesem Punkt gibt es Übereinstimmungen zwischen Scharping und Fischer. Auch der SPD-Chef sieht die Krise als Chance. „Erstens für ein ökologisches Wachstum und zweitens für die Modernisierung staatlicher Tätigkeit.“ Fischer setzt deshalb darauf, daß, wenn es konkret wird, auch die SPD Spaß an einer Neugestaltung gewinnt und „Lust auf Reform“ bekommt. Das Geld dafür wollen beide bei den sogenannten Besserverdienern abholen. Das SPD-Regierungsprogramm sieht eine zehnprozentige Ergänzungsabgabe bei Einkommen ab 50.000 DM jährlich vor, Fischer appelliert an alle, die mehr als fünf- bis siebentausend Mark im Monat verdienen, ihren Beitrag für einen neuen Gesellschaftsvertrag zu leisten. Die SPD will durch eine Senkung der Lohn- und Einkommensteuer gleichzeitig die Bezieher kleiner und mittlerer Einkommen entlasten. Weitere Leitlinien des SPD-Programms sind die Aufrüstung der Polizei (Großer Lauschangriff) und eine Reduzierung der Bundeswehr auf 300.000 Mann.
Die Interviews mit Scharping und Fischer auf den Seiten 14 und 15
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