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Einblick in die Schreibwerkstatt

■ Tankred Dorst gab Auskunft in der Schauspielhaus-Kantine

„Ich habe einen Haß auf Schriftsteller“, sagte der Schriftsteller Tankred Dorst am Freitag in der NachtKantine des Schauspielhauses. Aber da er ein zurückhaltender und liebenswürdiger Mann ist, schwächte er die Aussage mit einem Lächeln ab. Er möge das Preziöse, das Geschraubte und Gedrechselte in der Sprache so mancher Schriftsteller eben nicht. Nein, er sagte es anders: murmelnder, ein klein wenig formulierungsunsicher, gelegentlich stockend.

Denn Tankred Dorst ist nicht jemand, der mit zwei, drei Allgemeinbegriffen und einigen geschliffenen Sentenzen Gesprächssituationen in den Griff kriegen will. Daß sich Machtmenschen des Machtmittels Sprache bedienen, um die Realität sich anzupassen, ist schließlich ein Thema, das er in vielen seiner Stücke dargestellt hat. Und ein Machtmensch ist Tankred Dorst ganz sicher nicht.

In der ungezwungenen Atmosphäre der locker gefüllten Schauspielhauskantine erzählte der Stückeschreiber von seiner Arbeit - unpreziös, ungeschraubt und ungedrechselt. Der Eindruck, einen der bedeutendsten und meistgespielten Autoren Deutschlands vor sich zu haben, verlor sich schnell. Tankred Dorst ist auf eine so selbstverständliche Weise Schriftsteller, daß er Künstlerposen nicht braucht. Wie ein Schreiner oder Schlosser seine handwerklichen Techniken erklären würde, so berichtete Dorst von den Voraussetzungen und Grundzügen seines Schreibhandwerks.

Er gewährte Einblicke in seine Werkstatt, und man erfuhr, daß Dorst immer zuerst den Schluß eines Stückes schreibt, daß er schmale Hefte benutzt, weil ihm das Format helfe, seine Sätze kurz zu halten. Und er sprach über die Motivation seines Stückeschreibens. „Die Schöpfung noch einmal machen“, das sei, so Dorst, sich für die Maßlosigkeit des Anspruchs selbst belächelnd, seine schriftstellerische Utopie. Er habe sich eben dafür entschieden, nicht über sich, sondern „über andere“ zu schreiben, und wolle in seinen Stücken - nach dem Vorbild Hauptmanns und Goldonis - eine möglichst große Vielfalt an Figuren entwerfen.

Identifizieren tut er sich mit seinen Figuren nicht. Sie seien Fremde für ihn, die er im Schreiben von innen heraus zu verstehen suche. Aber natürlich hat Tankred Dorst einige Figuren, die ihn mehr beschäftigen als andere. Eine davon ist Herr Paul aus dem gleichnamigen Stück, das derzeit im Schauspielhaus gezeigt wird. Immer wenn er über diesen Held des Bleibens sprach, mußte man sich des Eindrucks erwehren, es ginge gar nicht um eine literarische Figur, sondern um eine reale Person.

Dirk Knipphals

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