Das ist wie Teebeutelweitwurf

■ Barbershop-Wettbewerb in Bremen: Wenig zu lachen, viel zu swingen, singen, schmachten

Die Kieler Fans rasten aus. Auf der Bühne steppt, swingt, schmachtet ihr Quartett „Take Four“. Die Frauen zücken Trillerpfeife und Schnarre. Eine erkennt ihren Chorleiter und klatscht sich die Hände heiß. „So hallo Mary Lou, I'm so in love with you“, schnulzt der Kieler Vierer ins Publikum. Jacketts und Fliegen geraten in Bewegung.

Ansonsten geht's eher streng zu beim Quartett- und Chorwettbewerb des Zweiten Deutschen Barbershop-Musik-Festivals am Wochenende im Vegesacker Bürgerhaus. Man nimmt sich ernst, schließlich geht es um den deutschen Meister. Das Publikum ist gehalten, „alle auftretenden Gruppen mit frenetischem Beifall zu begrüßen“ und während der gesamten Veranstaltung Namensschilder zu tragen. Fotografieren und piepende Digitaluhren sind verboten, und Zuspätkommen auch.

Hinter einer Barrikade aus Mineralwasserflaschen und Blumen registriert reglos eine Jury das Barbershop-Treiben. Den streng-seriösen Preisrichtern (eigens aus dem Barbershopper-Ursprungsland USA und Großbritannien eingeflogen) über die Schulter zu sehen, gilt als Sakrileg. Jeder der eingefleischten Barbershop-Gemeinde im Bürgerhaus kennt sowieso die Kriterien der drei Herren: Musik, Gesang und die Präsentation einschließlich Outfit, Einheitlichkeit, Choreografie. Denn gekommen sind InsiderInnen, BarbershopperInnen aus ganz Deutschland, England und Holland und ihre Fans und FreundInnen. Ein Menschenschlag, der zusammenhält. „Egal, wo du bist“, erzählt ein angetrunkener Holländer mit Trophäenschal, „von Buffalo bis Australien findest du Barbershopper, Chöre zum Mitsingen und ein freies Bett“.

Jeder kann hier die Geschichte des Barbershop runterbeten, dieser A-cappella-Musik, die einst von Männern in den Frisiersalons im amerikanischen Süden und Südwesten gepflegt wurde und erst seit den Siebzigern in Deutschland Mode ist. Und alle haben sich seit Jahren und Jahrzehnten eingehört in die Chor- und Quartettgesänge mit ihren sonderbaren Obertönen, die schon die Comedian Harmonists in den 30er Jahren auf ihre Weise zur Perfektion gebracht hatten. „Das ist die purste Form der Musik, die es gibt“, behauptet der Bremer Barbershopper Detlef Blumentritt, der erst am Samstag beim Chorwettbewerb seinen großen Auftritt hatte. „Wenn man diesen Sound mag, wird man süchtig.“ Und er ist süchtig, auch wenn es ihm elendig schwer gefallen sei, seinen Mehlsack-Bewegungen Grazie zu verleihen.

Nur der Bass von „Take Four“ hat mit den wenigen Newcomern im Saal Mitleid. „Für Neulinge muß das so befremdlich sein wie ein Wettbewerb im Teebeutelweitwerfen“, sagt der 22jährige Torge Bollert. Und gibt zu: „Das Singen bringt mehr Spaß als das Zuhören.“ Barbershopper müßten sauberer singen als ein Klavier, erklärt ein Kölner Chorleiter. Und: „Wenn vier Leute Frequenz, Vokale und Lautstärke gemeinsam richtig einsetzen, geht denen das durch Mark und Bein.“ Das Publikum freilich muß sich eher mit den sinnigen Texten rund um Liebe und Herzschmerz und der Show begnügen.

Stumm und andächtig wie beim klassischen Konzert hören die ZuschauerInnen zu, als die zwölf Quartette lächelnd, strahlend, tänzelnd am Freitag ihre Lieder darbieten. Nur ab und an wippt ein Schuh im Takt. Eine Frau im Publikum schmunzelt sogar, als es zu schnulzig kommt. Ansonsten Anspannung wie im Pflichtprogramm der EisläuferInnen in Lillehammer. Viele balancieren auf den Knien das Programmheft, machen sich Notizen, spielen Jury.

Ein Auge zugekniffen, den Mund halb offen, zückt ein Zuschauer – streng verboten – die Video-Kamera. Denn die Paillettengirls von „Sunstream“ erobern im Gleichschritt zumindest die Bühne. „Don't cry, little girl, please don't cry“, schmachten sie. Doch so sehr Silbersandalen und Straßspangen blitzen, Frauen haben in dieser Männerdomäne wenig Chancen.

Anders bei den Sängern, wo schon mal dick Farbe aufgelegt wird. Die Jungs des dienstältesten Barbershop-Vierer „Take Four“ hatten sich noch kurz vor ihrem Auftritt mit dem Allernötigsten eingedeckt: Wimperntusche, Kajalstift, Rouge, Lipgloss und was man sonst noch so braucht, alles zusammen 140 Mark. Monatelang hatten sie vor dem Spiegel und mit der Videokamera geübt. „Diesmal wollen wir nicht mehr die Zweiten sein“, hatte Tenor Jörn Galley kurz vorm Start gesagt. Und zum Schluß, nach drei Stunden, heißt es tatsächlich: Schminke, Schnulze und Sieg. Die vier Jung-Kieler sind die Quartett-Champions des Zweiten Deutschen Barbershop-Musik-Festivals.

Und danach? Wie bei jedem Treffen geht's um Mitternacht im Foyer des Bürgerhauses erst so richtig los – zumindest für eingeweihte BarbershopperInnen. Nach dem Pflichtprogramm werden das traditionelle „after-glow“ und „after-after-glow“ zelebriert: Bei dieser Verbrüderungsaktion liegen sich auch in Bremen fremde Menschen in den Armen und a-cappellern gemeinsam, im großen Stil: „My wild irish rose“ und „Down our way“ – englische Songs, die hier einfach jeder kennt. Schließlich handelt es sich um eine Weltgemeinde . Sabine Komm