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Auch er in Arkadien

■ „Ungedrechselte Qual“: Der Dichter Uwe Kolbe in Rom

Immer wieder der Blick zurück, Stoßseufzer der Erinnerung: die Eltern Binnenschiffer, die Elbe, „schon damals ein Wurm zwischen Deutschland“, für Uwe Kolbe so etwas wie für Tom Sawyer der Mississippi, einst Spielwiese und Lebensader, nun, nach dreißig Jahren und politischer Zeitenwende, ein immer noch vertrautes Relikt, das an Heimat erinnert, ohne zu Sentimentalitäten Anlaß zu geben.

„Ich habe mein Land verloren“, lautet die erste Zeile aus Kolbes vierter Gedichtsammlung „Vaterlandkanal“ (1990). Vier Jahre später beginnt der neue Band „Nicht wirklich platonisch“ des ehemaligen Schützlings von Franz Fühmann mit verhalten kämpferischen Tönen:

Einer oder der anderen Stadt oder

einem oder dem anderen Land

zugehören

oder nur oder gerade

dem schlechten Gewissen gehören

nicht heimisch zu sein – und

gerade dies abzustreifen, Land

Land und Stadt Stadt heißen

lassen,

zu brechen das Brot und dem

Liede

zu lauschen, das eben herübertönt.

Dieses lyrische Ich mag sich nicht regional oder national festzurren lassen. Der Rückzug in ein Refugium der Sprache erscheint in den folgenden Prosagedichten Kolbes als mögliche Konsequenz, angesichts der Erfahrungen, die er nach der Wende im neuen Deutschland, aber auch auf seinen Reisen sammeln konnte. Den spröden Versen ist Enttäuschung und Trauer über die Entwicklung, die der neue Staat genommen hat, zu entnehmen. Dementsprechend polarisiert, bei aller Ambivalenz der Empfindung, das lyrische Ich stark. Die Schnittstelle ist der Herbst 1989. So heißt es in „Septemberernte“:

Herbst ist die Mutter,

mit der allein ich leben kann,

mit keiner anderen Frau.

Wie war das unberaten,

hinauszuziehn trotz sichrer

Ahnung,

dem klaren Wort des Pulses,

sinnlos der Aufstand jenes

Süchtigen.

September, meine Mutter,

Einkehr,

Melonenröte und Orange des

Kürbis,

Gebräu in Gurkengrün

und Schneebeerweiß

anstatt Erinnerung.

Starke Symbole, handfest und sinnlich, für den Monat, nach dem die Mauer fiel. Die Aufregung hat sich inzwischen gelegt, die Verheißung des Westens ist verpufft wie eine Fehlzündung. Statt im Eldorado landet man auf Kolbes literarischer Reise ins Ungewisse wie Poes Held Arthur Gordon Pym in einer undurchdringlichen Nebelwand; es ist ein Gefühl des Lebendig-begraben-Seins, das absolute Grauen, Styx. Die Not bricht aus, sie schnürt die Kehle zu. Verse werden mühsam abgerungen, die Einsamkeit in der Fremde ist groß, in der Verzweiflung kommt es fast zum Äußersten: „Die Sprache hätt ich gern fortgegeben.“

Die wenigen Worte, die in dieser Zeit über seine Lippen kommen, zeugen von der Entfremdung und der Tristesse eines einsamen Rom-Besuchers, der seine Nationalität wie einen Klumpfuß nach sich zieht und in der Ewigen Stadt, die ihren Mythos zu verlieren droht („O Rolf-Dieter, bewahre uns unser Arkadien“), keinen Trost findet. Scham und Ekel, auch „Schuld“, „Tränen“ und „ungedrechselte Qual“ befallen ihn wie die Pocken, die die Seele vernarben. Aber der Rückweg scheint abgeschnitten. Zwar gibt es wie früher die Bilder aus Berlin vom Prenzlauer Berg, die schon immer durch seine Gedichte geisterten: graue Töne, Marodes, Suggestion von Verfall und Tod. Die Gefühle für die geliebte Stadt sind jedoch inzwischen zwiespältig geworden: einerseits der Protest, daß der Sozialismus so endgültig geopfert wurde („Die Tore der Stadt sind / verschattet gleich undicht. / Du kennst sie am Sog, diese / Schleusen voll Unmuts. / Die Finger, die Kinderfinger / im Spalt des angelehnten Flügels. / Umkehrt ein Pedant und macht Schluß“), andererseits auch scheinbar vertraute Bande und Befindlichkeiten.

Während andere leichten Fußes durchs poetische Gefilde federn, kämpft sich Uwe Kolbe durch seine Irritationen, bemüht um sprachliche Konzentration. Stilistisch weiterhin Expressionisten wie Trakl und Benn verpflichtet, manches sperrig, dann wieder in seltener Offenheit und Klarheit, zuweilen sogar irritiert von der eigenen Pose, sucht er geradezu die Konfrontation, um den eigenen Standort zu finden. Eine innere Zerrissenheit offenbart sich, Selbstzweifel: „Begriffsfiasko, Abfall in wüste Romantik!“ Die Flucht soll ein Ende haben, die poetische Distanz wiedergefunden und „der Hunger, himmelweit“ gestillt werden. Aber „so einfach ist es nicht mit den Gedichten. / Schön wärs.“ Thomas Kraft

Uwe Kolbe: „Nicht wirklich platonisch. Gedichte“. Suhrkamp Verlag, 103 Seiten, geb., 28 DM

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