: Bosniens Serben kritisieren Karadžić
Serben in den nichtbesetzten Gebieten Bosniens wollen eigenes Parlament nach Sarajevo einberufen / „Naziähnliche Ideologie“ Karadžićs „nicht die Position der bosnischen Serben“ ■ Aus Tuzla Erich Rathfelder
Der Abschluß des bosnisch- kroatischen Friedensvertrages scheint auch bei den Serben im „freien Bosnien“ zu einem Überdenken der bisherigen Positionen zu führen. Bisher hatten sich die rund 280.000 Serben, die nach wie vor in Sarajevo, in den Regionen Tuzla, Zenica, Mostar oder den „muslimischen“ Enklaven leben und nicht auf die serbisch besetzte Seite übergelaufen waren, in ihren politischen Stellungnahmen zurückgehalten. Am Freitag kündigte nun der Vorsitzende des „Serbischen Konsultationsrates“ von Tuzla, Muso Bosić, in einem taz-Interview an, daß die Serben der neuen bosnischen Föderation demnächst ein Parlament in Sarajevo einberufen werden. Dort wollten sie die Politik von „Serbenführer“ Radovan Karadžić einer scharfen Kritik unterziehen.
„Diese Politik der Gewalt und der ethnischen Säuberungen“ sei eine „faschistische Politik“, erklärte Bosić, die durch die Serben Tuzlas verurteilt würde. Die „naziähnliche Ideologie des Montenegriners Karadžić und seiner Parteigänger ist nicht die Position der bosnischen Serben, die an einem friedlichen Zusammenleben der Nationen in Bosnien interessiert sind“. Derart menschenverachtende Ideologien seien insbesondere von nichtbosnischen Serben importiert worden. So hätten die serbischen Soldaten der Jugoslawischen Volksarmee für den Ausbruch des Krieges in Bosnien eine große Verantwortung. Scharf ins Gericht ging Bosić auch mit der serbisch-orthodoxen Kirche, die radikale nationalistische Positionen vertrete. Manche Mitglieder des Klerus seien nicht davor zurückgeschreckt, bei der Zerstörung von Kultstätten anderer Religionen mitzuwirken.
Bei den Wahlen 1990 habe die bosnisch-serbische Bevölkerung zwar Karadžićs „Serbische Demokratische Partei“ SDS zum größten Teil unterstützt. Viele seien davon überzeugt gewesen, daß sie durch den Nationalismus der anderen Volksgruppen bedroht seien. Die bosnisch-serbische Bevölkerung habe die Politik Karadžićs falsch eingeschätzt. Mit den Erfahrungen des Krieges sei aber eine Ernüchterung eingetreten, weshalb nun auch Serben in den serbisch besetzten Gebieten begännen, von Karadžić abzurücken. So hätten sich zuerst in Banja Luka und dann auch in anderen Städten ebenfalls „Serbische Konsultationsräte“ gebildet, die allerdings bisher im Untergrund operieren müßten. In ihnen seien vor allem Intellektuelle vertreten. Im „freien Bosnien dagegen sind Repräsentanten aller Bevölkerungsschichten beteiligt“, so Bosić weiter.
Der Widerstand in der besetzten Zone habe begonnen, obwohl Karadžić dort über die Macht der Gewehrläufe verfüge. So hätten sich in Bjeljina viele Serben gegen ethnische Säuberungen gewehrt, und auch in Banja Luka werde die Politik der Gewalt nicht widerspruchslos hingenommen. Sogar innerhalb der bewaffneten Streitkräfte seien Erosionserscheinungen zu bemerken. Außerdem finde eine Abstimmung mit den Füßen statt, viele Serben hätten die besetzten Gebiete verlassen und seien nach Serbien geflohen. Bisher aber sei die Opposition noch nicht stark genug, um einen Machtwechsel herbeizuführen.
In Tuzla gehe es den rund 17.000 Serben den Umständen entsprechend, so Muso Busić. Der Lebensmittelmangel und der Hunger beträfen alle Bevölkerungsgruppen gleichermaßen. Die Serben würden bei der humanitären Hilfe jedoch nicht benachteiligt, weiterhin besetzten sie ihre Arbeitsplätze bis in führende Stellungen hinein. 5.800 Serben, die aus der Region nach Belgrad geflohen waren, hätten inzwischen beim Roten Kreuz den Antrag gestellt, in die Stadt zurückkehren zu dürfen.
Bosnische Militärs in Tuzla erklärten, die serbischen Angriffe der letzten Wochen seien weniger Ausdruck von Stärke als der desolaten Lage in der „Serbischen Republik“. Karadžić brauche dringend einen militärischen Erfolg, um seine Macht zu stabilisieren. Sollte er damit scheitern, sei der Wendepunkt im Kriege erreicht.
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