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Prozeß mit begrenztem Aufklärungswillen

■ Im Verfahren um den Anschlag auf das „Maison de France“ wird der Stasi der Prozeß gemacht, kein Thema aber sind die Verflechtung der Geheimdienste

Berlin (taz) – Nein, weder an bei ihm gefundene Waffen vermag er sich zu erinnern noch an den Namen „Carlos“ – ein bemerkenswert schlechtes Gedächtnis zeichnet den Zeugen Tarik S. im Prozeß um den Bombenanschlag auf das Berliner Maison de France aus. Die Akten des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS) und des Westberliner Staatsschutzes könnten seine Erinnerung auffrischen. Danach war der zweiundfünfzigjährige Palästinenser mit dem deutschen Paß eine schillernde Figur im Netzwerk des internationalen Terrorismus – und zudem ein Mann, der auf vielen Schultern trug. Der unbehelligt in Berlin lebende S. illustriert zugleich eindrücklich, wie die Aufklärung des Anschlags von einem undurchdringlichen Geflecht von Geheimdienstinteressen und politischer Opportunität beeinträchtigt wird.

Nahezu fünfundzwanzig Kilogramm Sprengstoff zerrissen am 25. August 1983 das Maison de France im damaligen West-Berlin: Ein Mensch starb, dreiundzwanzig wurden schwer verletzt. Urheber war die Gruppe „Internationale Revolutionäre“ um den weltweit meistgesuchten Terroristen Iljitsch Ramirez Sanchez, genannt Carlos. Vorbereitet wurde der Anschlag von Ost-Berlin aus, wo die Gruppe seit Ende der 70er Jahre aktiv war – unter fürsorglicher Betreuung des MfS. Regelmäßig hielt sich der Carlos-Stellvertreter und ehemalige westdeutsche Aktivist der Revolutionären Zellen, Johannes Weinrich, in Ost-Berlin auf. Das MfS profitierte davon: es schöpfte Informationen ab über die Aktivitäten der Gruppe, auf deren Konto mehr als zwei Dutzend Anschläge gehen.

Waffenhandel mit der Hisbollah

Der erinnerungsschwache Zeuge S. hatte intensiven Kontakt mit Weinrich. Man traf sich in Budapest, S. besorgte Waffen und spionierte in den Jahren 1981 und 1982 die französische und die amerikanische Botschaft in Beirut aus. Im selben Zeitraum wurde von der Carlos-Gruppe ein französisches Diplomatenpaar in Beirut ermordet und die amerikanische Botschaft gesprengt, wobei es über 50 Tote gab. Inwieweit Carlos dabei Hilfsdienste für die Gruppe Abu Nidal übernahm, die später die Verantwortung für den Anschlag übernahm, ist ungeklärt.

Über S., so notiert der Berliner Staatsschutz, seien „fortlaufend Informationen“ über seine Teilnahme am „internationalen Waffenhandel“ bekanntgeworden – namentlich genannt werden die rechtsextreme „Wehrsportgruppe Hoffmann“, die palästinensische PFLP/SC, die libanesische „Hisbollah“ und die Gruppe „Carlos“. Mal ist von siebzig Maschinenpistolen für „Carlos“ die Rede, dann wieder von einem Waffendeal in Karlsruhe. Zudem unterhielt S. gute Verbindungen zur PLO und auch zur Stasi – als IM „Teddy“. Schwierigkeiten bekam S. nur einmal: wegen eines Waffengeschäfts intervenierten die Amerikaner in West-Berlin. S. wurde festgenommen – und sofort nach Ost-Berlin abgeschoben, wo er seine Geschäfte fortsetzte. Daß S. auch Kontakte zu deutschen Geheimdiensten hat, ist unbestätigt. Aufmerksam machte, daß ein Beamter des Bundeskriminalamts vor Gericht angab, über S. dürfe er nicht aussagen.

Auf der Anklagebank in Berlin sitzt nun der Terrorismus-Experte der Stasi, der ehemalige Oberstleutnant Helmut Voigt, wegen Beihilfe zum Mord. In den vierzehn Verhandlungstagen, bei denen es um die Klärung von Verantwortlichkeiten im militärisch-bürokratischen Komplex mit Namen MfS geht, sind es Figuren wie S., die darauf verweisen, daß nicht nur die Stasi dubiose Partnerschaften betrieb. Für die Anklage ist dies kein Thema. Einzig der ehemalige stellvertretende Minister für Staatssicherheit, Gerhard Neiber, wies darauf hin, daß auch die westdeutschen Geheimdienstler über V-Männer und geduldete Aktionen wie den Sprengstoffanschlag auf den Knast Weiterstadt an die RAF heranzukommen hofften. Keiner käme auf den Gedanken, das BKA der RAF-Unterstützung zu bezichtigen, wie es nun dem MfS unterstellt werde, merkte Neiber an. – Die Staatsanwaltschaft hofft, über die Aussagen des Terrorismusexperten Voigt, der nicht nur zur Carlos-Gruppe Kontakt hatte, sondern auch die RAF-Aussteiger betreute, zu weiteren Anklagen zu kommen. Wer gab den Befehl, jene 25 Kilogramm Sprengstoff freizugeben, die beim Anschlag auf das „Maison de France“ verwendet wurden? Dieser war ein Jahr zuvor dem Carlos- Vize Weinrich bei der Einreise nach Ost-Berlin abgenommen worden. Voigt will den Befehl vom Abteilungsleiter Dahl erhalten haben – was dieser bestreitet. Auch der ehemalige stellvertretende Minister Neiber will damit nicht befaßt gewesen sein.

Niemand will's gewesen sein, niemand hat's gewußt

Alles spricht aber für Voigts Darstellung. Schließlich war Neiber selbst an der weit weniger brisanten Freigabe einer Waffenkiste an die Carlos-Leute beteiligt. Neiber räumt zumindest ein, die Herausgabe des Sprengstoffs sei das Ergebnis eines längeren diplomatischen Drucks der Syrer gewesen. Doch von einem bevorstehenden Anschlag auf das Maison de France will weder Neiber noch Voigt gewußt haben – obwohl der Stasi genaueste Informationen darüber vorlagen.

Der hartnäckige Aufklärungswille der Strafverfolger hat erkennbare Grenzen. Dies betrifft beispielsweise die Rolle des syrischen Diplomanten Nabil Chritah. Er soll als Mitarbeiter der syrischen Botschaft ständiger Kontaktmann der Carlos-Gruppe gewesen sein. Syrien hatte die Carlos-Leute mit Diplomatenpässen ausgestattet und die Botschaft angewiesen, der Gruppe „jegliche mögliche Hilfe“ zu geben. Chritah verwahrte in der Botschaft Waffen und Sprengstoff für die Gruppe und lagerte dort auch den Sprengstoff, der beim „Maison de France“ verwendet wurde. Völlig überraschend stellte sich Chritah, zuletzt persönlicher Referent des syrischen Vizeaußenministers, zu Prozeßbeginn der Berliner Polizei. Wie dieser wundersame Fahndungserfolg zustande kam, ist bislang ein Geheimnis. Bekannt ist nur, das Chritah von Budapest nach Frankfurt flog, dort ein längeres Gespräch mit deutschen Stellen hatte und dann nach Berlin weiterreiste. Versprechen wurden nicht gemacht, sagen die Strafverfolger. Nicht unerwartet behauptete der Diplomat, der inzwischen wieder auf freiem Fuß ist, vor dem Gericht, sein Land habe mit dem Anschlag auf das „Maison de France“ nichts zu tun.

Das paßt auch der Bundesrepublik gut ins außenpolitische Konzept. Syrien ist für eine Friedenslösung im Nahen Osten unentbehrlich. Entsprechend groß ist das Interesse, die jahrelang als Pate des internationalen Terrorismus verurteilte Regierung in Damaskus als normales Mitglied der Völkergemeinschaft zu rehabilitieren. Da braucht es solche Zeichen der tätigen Reue wie die Reise Chritahs. Daß Carlos und Weinrich immer noch in Damaskus unter dem Schutz Syriens leben, könnte darüber milder beurteilt werden, mag die Regierung in Damaskus hoffen. Gerd Nowakowski

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