: Einbruch des Wortes
■ Eine Programmvorschau auf das Festival in vier Teilen
Teil I: Die Leitfäden des Programms
Machen wir kein Geheimnis daraus: Auf Kampnagel wird getanzt. Immer häufiger, immer heftiger. Nicht nur zu den 4. Internationalen Tanztheaterwochen vom 6. April bis zum 1. Mai, sondern nunmehr schon seit vier Jahren. Als Hans Man in't Veld 1990 die künstlerische Leitung der Kampnagelfabrik übernahm, initiierte er zusammen mit seinem Mitarbeiter Klemens Wannenmacher dieses alljährliche Tanzfestival. Es sollte der Versuch sein, zeitgenössischen Tanz in einem breiteren Spektrum und in radikaleren Formen und Aussagen zu repräsentieren, als es das Hamburger Publikum von den Handlungsballetten John Neumeiers kannte. Nach vier Jahren scheint der Weg für modernen Tanz und seine Grenzformen in Hamburg gebahnt, ein Klima des Interesses geschaffen. Nach der Resonanz des Tanzfestivals Dance-Port im Oktober 1993 lädt Kampnagel im April nun für vier Wochen zu den Internationalen Tanztheaterwochen.
Gezeigt werden neun Produktionen, die tänzerische Bewegung als unterschiedlichstes Medium begreifen: zur Abbildung musikalischer Struktur, als Korrespondenz zu Bildender Kunst, zur Thematisierung gesellschaftlich-existentieller Fragen, als Medium zu politischer Aussage. Die Palette der Formen ist vielgestaltig: pure Tanz-abende, choreographisches Theater, Grenzerweiterungen hin zum Schauspiel und zum Medienspektakel, nicht zuletzt zur Zirkuskuppel: zur Akrobatik.
Leitfaden bei der Programmzusammenstellung war für die Veranstalter ein - letztlich subjektives - Gespür für aktuelle Tendenzen und Weiterentwicklungen im Bereich Tanz. Ihr Interesse galt jenen Choreographen, von denen sie den Eindruck hatten, es bestünde für sie eine gewisse Notwendigkeit, sich mit Fragen der Gegenwart auseinanderzusetzen. Auffallend ist in diesem Zusammenhang der Einbruch des Wortes in den Tanz.
Die Verwendung von Sprache und Texten führt in einigen Compagnien zur Beteiligung von Schauspielern und somit zu einer Genreerweiterung zum Sprechtheater. Die Frage, ob der zeitgenössische Tanz die radikalere Weiterentwicklung des Theaters sei oder dieses innoviere - ob eher umgekehrt theatralische Mittel den Tanz um den Tanz und sukzessive ins Theater bringen, sollte nach dem Festival gestellt werden.
Drei Programmstränge lassen sich im wesentlichen erkennen: Die belgischen Choreographinnen Nadine Ganase (Falling, 7.-9. April) und Michèle Anne de Mey (Sonatas 555, 21.-22. April) setzen mit ihren Arbeiten die Tradition des belgischen Tanzes auf Kampnagel fort. Beide tanzten lange Jahre in der Compagnie Rosas um Anna Teresa de Keersmaeker. Programmatisch bilden zwei Hamburger Gruppen den Rahmen der Tanztheater-wochen '94 und verdeutlichen somit ein Konzept, das Kampnagelproduktionen in den Kontext internationaler Strömungen stellen will. Coax (6., 8., 9., 13.-16. April) wird mit der Uraufführung Intravenös den Auftakt geben, das Norddeutsche Tanztheater mit Kassandra II (27. - 30. April, 1. Mai) den Schlußakkord setzen.
Die dritte Linie weist nach Marseille: Hafenstadtverbindungen hatten das Kampnagelauge anläßlich des Dance-Port-Festivals nach Südfrankreich gelenkt. Aus diesem Tanzzentrum kommt jetzt die Compagnie du Solitaire (Fragments tirés du sommeil, 22.-23. April) um die Choreographin Martine Pisani und die Companie Odile Cazes (Les salutations d'un ami lointain) zu einem Doppelabend. Als Einzelerscheinungen werden Jo Fabian aus Berlin (Whiskey & Flags, 19.- 21. April), Philippe Saire aus Lausanne (La Nebuleuse du Crabe, 15. -16. April) und das Dynamo Theatre aus Montreal (The Callenge, 29., 30. April, 1. Mai) zu sehen sein.
Annette Kaiser
Freitag Teil II: Das Programm im Einzelnen
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