: Richter und Kämpfer für den Erhalt Moorburgs
■ Erinnerungen an Ernst Grothe, der sich verbittert und verarmt das Leben nahm
Ernst Grothe (54), ehemals Richter und Kämpfer gegen die Hafenerweiterung, hat sich im Februar das Leben genommen. Morgen um 14 Uhr findet in der Kapelle des Hauptfriedhofs Altona an der Stadionstraße 5 die Trauerfeier für ihn statt. Im folgenden erinnern einige seiner FreundInnen an den Mann, der einst an zentraler Stelle den Widerstand gegen Senatspläne organisierte und schließlich, verarmt und in Gesetzesübertretungen verstrickt, keinen Ausweg mehr wußte.
Ernst war zwischen 1982 und 1988 eine bekannte, fast berühmte Persönlichkeit der alternativen Szene Hamburgs; aus dieser Zeit kennen ihn viele. Frische Erinnerungen hat kaum jemand an ihn, denn er war vereinsamt. Darum ist es angebracht, in der Zeitung, die er las und die über ihn berichtete, noch einmal einiges aus seinem Leben nachzuzeichnen. Ernst war zuletzt verbittert über einige Freunde und Weggefährten, das soll angedeutet werden, ohne in seinem Namen „Rache“ zu nehmen.
1972 war er Richter geworden. Einer, der nicht nur gegen die Notstandsgesetze demonstrierte, sondern nachts durch die Straßen zog, um NPD-Plakate zu überkleben, der Aktivist der Anti-Springer- und Anti-AKW-Kampagne und in die Turbulenzen um das Polizeihochhaus verwickelt war. Manch schöne Gesetzesübertretung seinerseits gäbe es aus dieser Zeit zu berichten - und auch manche „Beugung“ im Amte schätzte er, wenn sie Schwachen half, der Strafe, die ein normaler Funktionär der Justiz wohl verhängt hätte, zu entgehen. Kurz gesagt: Er war in seinem Beruf ein Außenseiter, war es gerne, sah sich eher im „Feindesland“ als unter „Kollegen“ - und konnte Ärgernisse, wie z.B. eine Strafversetzung von der Abteilung für Strafrecht in die für Zivilrecht gut bekämpfen und verkraften.
Auch wenn Ernst später an (Richter-)Blockaden gegen Mutlangen teilnahm - politische Arbeit „in seinem Stand“ war ihm nicht sonderlich wichtig. Zumal er ab 1982 ein Engagement gefunden hatte, das seinem Begriff von „Widerstand leisten“ entsprach und seinen Intellekt wie sein Gefühl voll in Anspruch nahm: Die Moorburg.
Der Ort sollte damals, so die Planung des Senats, der Hafenerweiterung zum Opfer fallen. Die Gegner hatten sich als ein Moment der Gegenwehr ersonnen, ein Haus in Moorburg - „Die Moorburg“ - zu kaufen, das möglichst vielen Anteilseignern gemeinsam gehören sollte, so daß es ein schwiergies Unterfangen würde, all diese Eigner herauszuschlagen. Das Haus sollte ein Treffpunkt „des Widerstands“ werden - Tagungshaus, Kommunikationszentrum. Die juristische Konstruktion war von Ernst ausgearbeitet worden - und er hielt auch häufig z.B. vor Mitgliederversammlungen der GAL die „Reden mit Augenzwinkern“, in denen den Zuhörern zwar nicht alle Details, aber doch der Kerngedanke mitgeteilt wurde, daß eine Spende bzw. der Erwerb eines Anteils allerlei Gesetze, Lücken derselben und Dummheiten der Bürokratie so ausnutzte, daß der Spender optimalen (Steuer-)Vorteil und der Staat Schaden nahm. Der Saal wußte, daß ein „krummes Ding“ gedreht wurde, und hatte seinen Spaß an halb- bis illegalen Manövern gegen die Hafenerweiterung, wie es damals dem Lebensgefühl vieler entsprach, die nicht ehrlicher als Flick und Lambsdorf sein wollten.
Die Spenden flossen, aber die Ausgaben für Anschaffung, Umbau, Renovierung der Villa verschlangen auch viel Geld. Ernst war optimistisch (oder sogar euphorisch), streckte Mittel aus seiner Privatschatulle vor, lieh bei Freunden und Bekannten auch mal Geld, damit der Bau, an dem so richtig schön „unseriös“ von arbeitslosen Jugendlichen, auch Drogies, gewerkelt wurde, „nicht ins Stocken geriet“. Ob eine Offsetmaschine und eine Repro-Kamera gebraucht wurden oder eine Autowerkstatt eingerichtet werden mußte, Ernst hatte das nötige Geld.
Er war nicht unumstritten bei den anderen Aktivisten, galt manchmal als „autoritärer Macher“, war nicht der geborene Basisdemokrat. Die Ambivalenz ist nachvollziehbar: Einerseits wußten alle Beteiligten, „wie er das macht“ - und drittens wollte man nicht so viel wissen, daß man seine (juristische) Unschuld verlöre. Schließlich türmten sich beim Macher enorme Schulden auf, die ihn jedoch nicht sonderlich beunruhigten, da er von der Qualität seiner Finanztricks überzeugt und ansonsten im festen Glauben war, „daß die Szene mich schon trägt“. Eine subjektive Wahrnehmung seiner Verwandlung von einem wohlhabenden Beamten in einen armen „Schlucker“ gab es erst später.
Der unmittelbare Zweck der Moorburg, die Hafenerweiterung zu verhindern, war in gewisser Weise entfallen (es gab eine Bestandsgarantie für den Ort bis zum Jahr 2005), aus dem Projekt des Kampfes war eine „Idylle“ geworden, an der materiell Existenzen hingen. Man wollte die Sache legalisieren, und Ernst, nicht gerade ein Vertreter „korrekter Buchführung“ konnte mit seiner Arbeitsweise durchaus zur Bedrohung werden.
Die Entfremdung, das Zerwürfnis eskalierten über die Jahre. Eine „autoritäre Konstruktion“, nach der nur ein ganz kleiner Kreis die Verfügungsgewalt über die Moorburg hatte, von Ernst miterdacht, fiel schließlich auf ihn zurück. Er wurde „entmachtet“ und bekam zu hören, man müsse die Anteilseigner gegen seinen Leichtsinn, seine Unzuverlässigkeit schützen. Ihn traf durchaus „Entrüstung“ derer, die sich nun erstaunt zeigten, wie unseriös er gewirtschaftet hatte. Die Freude am „Augenzwinkern“, der Spaß am „krummen Ding“ waren nicht nur vom Zeitgeist vertrieben, sondern wurden auch als Erinnerung aus vielen Biografien gestrichen. Ernst war fortan ohne politische Freunde - und er war hoch verschuldet; dazu nie wieder ganz gesund nach einem schweren Unfall mit dem Motorrad im Jahr 1989. Im Sommer 1990 ließ er sich in den vorzeitigen Ruhestand versetzen.
Dis 1992 war er wohl optimistisch, die finanziellen Probleme ins Lot bringen zu können - zumindest hielt er für seinen kleinen Bekanntenkreis das Bild, das ihm selbt gefiel, aufrecht: der Fuchs, der alles wuppen kann. Einige Zeit versuchte er, in den neuen Bundesländern unter falschem Namen Geld zu verdienen. Der Schuldendienst drängte, Hoffnungen auf eine große Summe von einer Versicherung als Folge des Unfalls verzögerten und zerschlugen sich. „Krumme Dinger“ wurden gedreht und blieben nicht so unentdeckt wie erhofft. Die Zahl der Menschen, die ihn bedrohen, erpressen oder einschüchtern konnten, wuchs und ängstigte ihn. Weihnachten 1993 renovierte er noch mit seiner Lebensgefährtin eine Wohnung, plante Zukunft. Anfang Januar kam es bei ihm und im Bekanntenkreis zu polizeilichen Hausdurchsuchungen. Für ihn „stand fest“, daß nunmehr alles aufgedeckt werde. „Knast stehe ich nicht durch - und auch keine Verfahren vor Gericht“. Nach Tagen und Wochen der Angst warf er sich schließlich vor einen Zug. In einer letzten Verkennung der Tatsachen glaubte er - so geht aus seinem Abschiedsbrief hervor - durch seine „krummen Dinger“ Opfer produziert zu haben, das Gegenteil stimmt.
Wer noch ein wenig mehr über Ernst Grothe hören und seiner gedenken will, ist eingeladen zu einer Zusammenkunft im Anschluß an die Trauerfeier im Restaurant „Dubrovnik“ am Eidelstedter Weg.
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