piwik no script img

Überlebenskampf der ostdeutschen Chemie

■ Beste Chancen für die Kleinen

Berlin (taz) – Der Markt für Massenfilme ist weltweit zwischen Fudji und Kodak aufgeteilt; auch der aus Wolfen stammende Agfa- Film tut sich schwer. Vor etwa einem Jahr plädierte ein Teil des Treuhandvorstands für die Schließung der Filmfabrik Orwo. Kritiker wiesen darauf hin, daß das zentrale Problem Vertrieb und Marketing seien, auf die die Geschäftsführung zuwenig achte.

Das Konsortium um Hauri, das eben diese Qualifikationen aufweist, kam als ein Geschenk des Himmels. Aber die Geldgeber zerstritten sich und wollen neu verhandeln. Ob Landesbürgschaften oder zinslose, öffentliche Kredite – das Objekt kann nur günstiger werden. Gerüchteweise ist zu vernehmen, das Konsortium wolle die ursprüngliche Investitionssumme von über 100 Millionen auf 30 Millionen Mark drücken. Ob die Zusage von 750 Arbeitsplätzen eingehalten wird, ist unbekannt.

Während für Orwo lediglich politische und soziale Gründe sprechen, besteht Einigkeit darüber, daß in Leuna in jedem Fall eine neue Raffinerie gebaut werden muß. Die französische Elf hat angekündigt, daß sie das 4,3-Milliarden-Projekt nicht übernehmen will. Die russische Firma Rosneft will mit 20 Prozent einsteigen. Gesucht wird ein weiterer Investor. Schon jetzt ist absehbar, daß ein Konflikt darüber entbrennen wird, in welcher Höhe der Raffineriebau mit Bundes- und Landesmitteln finanziert wird: „Kohl hat sein Wort gegeben. Deshalb haben sich viele kleinere Betriebe angesiedelt.“ Noch Ende dieser Woche müsse eine Entscheidung fallen, droht Treuhandpräsidentin Breuel.

In Buna, wenige Kilometer weiter westlich, ist mehr Optimismus eingekehrt. Die neuen Chefs Bernhard Brümmer, von Dow Deutschland abgeworben, und Werner Bayreuther von der Treuhand versuchen, ein Sanierungskonzept für den Massenkunststoffhersteller umzusetzen. 1,8 Milliarden Mark Investitionen sind bereits gebilligt, für weitere 1,9 Milliarden fehlt noch die Zustimmung der EU. Am Mittwoch wird über einen Vorvertrag mit der russischen Energiefirma Gasprom verhandelt. Die Crackeranlage in Böhlen soll dem Betrieb in Schkopau zugeordnet werden. Noch ist Buna ein Kombinbat mit 4.600 Beschäftigten. Ende des Monats soll der Grundstein gelegt werden für eine Schaumpolysterolanlage – die erste größere Investition.

Weniger als vier Prozent des gesamtdeutschen Chemieumsatzes kommen aus Ostdeutschland. Und von 6,2 Milliarden Mark werden nach Informationen des Verbands der Chemischen Industrie-Ost (VCI) nur Produkte für etwa 1,7 Milliarden Mark von den übriggebliebenen Treuhandbetrieben verkauft. Der Rest geht auf das Konto privatisierter oder neu entstandener Betriebe, die meist zwischen 150 und 500 Leute beschäftigen. Das sind insgesamt etwa 35.000 Jobs. In den Staatsbetrieben in Leuna, Böhlen, Bitterfeld, Wolfen und Schkopau sind es noch etwa 14.500. In DDR-Zeiten arbeiteten 180.000 Menschen in der Chemie.

„Auf niedrigem Niveau läuft es bei den kleinen und mittelständischen Betrieben ganz gut, und viele nähern sich langsam den schwarzen Zahlen“, so VCI-Sprecher Dieter Arndt. Die Kleinen produzieren in erster Linie für den deutschen Markt und haben sich Nischenprodukte ausgesucht. Annette Jensen

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen