piwik no script img

„Verraten von Stadt-Bürokraten“

In Köln sollen ausländische Kinder zurück in ihre angebliche Heimat abgeschoben werden / Zur Begründung heißt es, die Kinder beeinträchtigten die Interessen der BRD  ■ Aus Köln Klaus Bartels und Detlef Schmalenberg

Zuerst kam ein weißes Papier auf die Wand. Dann rückten Jugendliche mit Farben und Pinseln an, malten einen aufgebrachten Behördenleiter, der mit einem zum Speer umfunktionierten Paragraphenzeichen auf Kinder losstürmt: „Verraten von Stadt-Bürokraten“, heißt es auf dem Kunstwerk, das seit Wochen auf einer Plakatwand in Köln zu sehen ist.

An rund sechzig Stellen in der Stadt wurde gemalt. Aufgerufen dazu hatten der „Unterstützerkreis“ für von Abschiebung bedrohte Kinder und Jugendliche sowie der Verein „Öffentlichkeit gegen Gewalt“. Mitgemacht haben unter anderem zwölf Schulen, Kirchengemeinden, der Caritasverband und die Menschenrechtsorganisation „terre des hommes“.

„Und solche Aktionen sind auch bitter nötig“, bekräftigt Reinhard Hocker vom „Unterstützerkreis“. Rund 80 ausländische Kindern und Jugendlichen, die in Köln bei Großeltern, Geschwistern oder anderen Verwandten leben, droht die Ausweisung. Stichtag für die meisten ist der 30. Juni. „Durch Ihre Anwesenheit werden Interessen der Bundesrepublik beeinträchtigt“, hatte ihnen die Stadtverwaltung mit Berufung auf das neue Ausländerrecht mitgeteilt. Ein Bleiberecht und Zuzug für ausländische Kinder sei nur dann gesetzlich, wenn die leiblichen Eltern in Deutschland lebten.

Formal sind die Behörden wohl auf der sicheren Seite. „Doch Recht und Mitmenschlichkeit klaffen hier weit auseinander“, klagt Hocker. Während gerade konservative Politiker die „Familie als Keimzelle der Gesellschaft“ beschwörten, würden hier familiäre Bindungen zerstört.

„Ich fühl' mich wohl, habe viele Freunde gefunden“, erzählt der 13jährige Muzaffer, der jetzt auch raus soll aus Deutschland. Vor vier Jahren kam er aus der Türkei zu seiner Schwester Gültaze nach Köln. Sein Vater war gestorben, seine Mutter heiratete erneut und kümmerte sich nicht mehr um den Jungen. Bei Besuchen in der Heimat mußte Gültaze mit ansehen, wie ihr Bruder verwahrloste, auf der Straße ums Überleben kämpfte. Sie entschloß sich, ihn nach Köln zu holen. Muzaffer reiste legal ein. 1993 erhielten Gültaze und ihr Ehemann das Sorgerecht. Doch das alles spielt jetzt keine Rolle mehr. Muzaffer soll wieder dahin, wo sich niemand um ihn kümmert.

Ähnlich erging es dem 19jährigen Mustafa Sali. Seit fast fünf Jahren lebt er wieder in Deutschland. In Köln geboren, war er als Kleinkind mit seiner Mutter nach Makedonien gezogen. 1983 kam er zurück, zu seinem Vater, der seit 21 Jahren in der Domstadt wohnt und arbeitet. Als Mustafa Ende 1993 ausgewiesen wurde, sorgte die Beflissenheit, mit der das Kölner Ausländeramt zu Werke ging, für Aufregung. Die SPD-Mehrheitsfraktion beantragte eine aktuelle Stunde im Rat. Aber nicht, um über das Schicksal des Jungen zu diskutieren, sondern um die Vorgehensweise der städtischen Ausländerbehörde zu rechtfertigen, wie ein führender Sozialdemokrat erklärte.

Bleiberecht nur bei außergewöhnlicher Härte

Auch heute noch fühlt sich Gerhard Kappius (SPD), der zuständige Dezernent, im Recht: „Wir haben keinen Ermessenspielraum.“ Die vorläufigen Anwendungsbestimmungen für das Ausländergesetz ließen ein Bleiberecht nur bei „außergewöhnlicher Härte“ zu. „Eltern tot, inhaftiert oder schwer erkrankt, das ist deren außergewöhnliche Härte“, meint Hocker verbittert.

Kappius indes weiß sich im Einklang mit den Gerichten und seinem Genossen, dem NRW-Innenminister Herbert Schnoor. Denn der hat die Bestimmungen des Bundesinnenministers erst für verbindlich erklärt. „Ganz im Gegensatz zu seinem Kollegen in Hessen, der die Anwendung der restriktiven Richtlinien in das Ermessen der örtlichen Ausländerämter gestellt hat“, sagt Hocker.

Selbst der Kölner SPD-Bundestagsabgeordnete Konrad Gilges kritisiert die Behörden seiner Heimatstadt: „Pingelig und päpstlicher als der Papst.“ Andere Städte würden vergleichbare Fälle gar nicht erst derart eifrig verfolgen. Gilges Genossen sind nicht so mutig. Zwar unterstellen sie der Kölner Verwaltung „vorauseilenden Gehorsam“, aber: „Zitieren Sie mich ja nicht.“ Gilges jedenfalls geht davon aus, daß die SPD auf eine Änderung der Härtefallklausel im Ausländergesetz drängen wird: „Die Kommunen müssen mehr Bewegungsspielraum haben.“

Siegfried Willutzki, renommierter Familienrechtler und Direktor des Brühler Amtsgerichts, kritisierte jüngst in einem Interview, daß das Wohl des Kindes von den Behörden oft nicht bedacht werde. Laut Grundgesetz hätten Verwandte, denen ein Sorgerecht übertragen wurde, ein „natürliches Recht“ zur „Pflege und Erziehung“ – genau wie die leiblichen Eltern. Dieses Menschenrecht gelte auch für Ausländer.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen