: Von der Leichtigkeit der Schwere
■ Men at work: In gleißendem Flutlicht und bei Hähnchenkeulen wurde gestern nacht die LKW-Brücke über den Landwehrkanal vollendet / Bald donnern über den Flüsterbelag" bis zu 1.300 Laster täglich
Kräftige Bauarbeiter, tonnenschwere Brückenteile, massige Kräne und drei Kästen Bier. Die gestrige Nacht zum „Brückenschlag“ für das Verbindungsstück über den Landwehrkanal zwischen dem Baulogistikzentrum (baulog) und der geplanten Baustelle am Potsdamer Platz konnte nur ein Erfolg werden. Technisch gesehen. Die Straße am Reichpietschufer war abgesperrt, Polizisten blinkten wie Glühwürmchen. Die Szenerie hatte man in Flutlicht getaucht, in dessen gleißendem Licht die Bauarbeiter wie Akteure aus „Die Spur der Steine“ agierten. Das Publikum: Investoren, der Bausenator und eine Schar Schaulustiger.
Das nächtliche Spektakel erschien wie tausendmal geprobt, die Montage der schweren Teile eine Tätigkeit voller Leichtigkeit und abgestimmter Präzision. Fast lautlos hob sich um Mitternacht der erste Teil des 350 Tonnen schweren Mittelstücks der Brücke vom Boden. Stahlseile spannten sich, die beiden riesigen Autokräne schwenkten das Brückenteil über die Straße in die Endposition. Die Leichtigkeit der Schwere erinnerte an eine Luftnummer im Zirkus, wo die Erdanziehungskräfte aufgehoben scheinen und die kunstvolle Balance vom Risiko des Seins kündet.
Mit einem kaum hörbaren Knacken senkte sich gegen ein Uhr morgens die erste Stahlschiene Zentimeter für Zentimeter auf die Widerlager. Es wurde noch gedreht, etwas verschoben, neu ausgemessen. Und saß fest. Dem Mythos vom technischen Wunderwerk, wo alles sich wie Zahnräder zusammenfügt, blind und lautlos im Team funktioniert, war wieder ein Opfer gebracht worden. Ein behelmter Monteur zündete sich eine Zigarre an. Men at work.
Damit die Technik menschlich blieb, hatte das Daimler-Benz- Dienstleistungsunternehemen debis – Hauptinvestor am Potsdamer Platz und Mitfinanzier der Logistikbrücke – einen Infobus gechartert, in dem eine Mitternachts-Vesper mit Hähnchenkeulen und Spießchen bereitlag. Die acht Millionen Mark teure Brücke, sagte baulog-Chef Wilhelm Maier noch kauend, sei eine Besonderheit: Zwischen die beiden Auf- und Abfahrten würden zwei stählerne Brückenteile von rund zehn Meter Breite eingebracht, die erst verschraubt und dann miteinander verschweißt würden. Der 500 Tonnen schwere und 102 Meter lange Überschlag müsse dann auf Träger abgesenkt werden, die zwölf Meter über dem Wasserspiegel lagerten.
Neu an der Sache seien nicht nur die „Autobahnbreite“ und der „Flüsterbelag“, wie baulog-Sicherheitsexperte Godau der taz erklärte. Neu seien insbesondere die Lasten, die die Brücke aushalten könne. Godau hierzu: „Es handelt sich nicht um ein Provisorium im herkömmlichen Sinne. Die Konstruktion ist für eine Betriebsdauer bis zum Jahr 2002 angedacht, wobei sie bis zu 1.300 LKW-Fahrten täglich zwischen dem baulog-Zentrum und der Baustelle aushalten muß.“ Für die Bauvorhaben von Daimler-Benz, Sony, ABB und Hertie am Potsdamer Platz werde mit einem Erdaushub von rund fünf Millionen Kubikmeter gerechnet. Im Gegenzug schiebe sich der Transport von Baustahl und Beton über die Brücke. „Ab Ende April sollen die Lastkraftwagen über die Brücke rollen“, sagte Maier.
Nach wie vor sind aber die Brücke und das Baulogistikzentrum umstritten. Die Extrastraße über den Landwehrkanal für den Bauabfall und die Baustoffe hat das Areal des Gleisdreiecks aufgeschürft. Das alte Eisenbahngelände, die Idylle für Vögel und seltene Pflanzen, wird für die Bauten eines Betonwerks, der Stahlbiegerei und des Zwischenlagers aufbereitet. Unter dem Gelände werden die Bahn einen viergleisigen Fernbahntunnel und das Land die Straßenröhre buddeln.
Das letzte Verbindungsteil – der Bausenator, die meisten Journalisten und die debis-Gastgeber schlummerten wohl bereits in ihren Betten – senkte sich gegen vier Uhr über den Landwehrkanal. Es war, als ob ein bleierner Himmelskörper unausweichlich niedergeschwebt und der Brückenkopf für die Bauarbeiten festgeklopft ist. Das Sperrfeuer der Kritik hat ihn nicht verhindern können. Rolf Lautenschläger
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen