: Mikroelektronische Revolution
■ betr.: „Die Arbeitsgesellschaft ist faktisch tot“, Interview mit André Gorz, taz vom 10.3.94
Wichtig war, deutlich zu machen, daß die Arbeitslosigkeit auch weiterhin wachsen wird. Und, daß das nicht etwas mit fehlendem Wirtschaftswachstum zu tun hat, wie uns viele Politiker im Superwahljahr einreden. Und auch nicht mit zu hohen Löhnen, wie uns die Unternehmer gerade in einer Werbekampagne weismachen wollen; denn in modernen Betrieben machen die Lohnkosten nur noch fünf bis 15 Prozent der Stückkosten aus. Wichtig war, festzustellen, daß die Ursache der Arbeitslosigkeit in einer Strukturkrise liegt, die sich auf der mikroelektronischen Revolution begründet. Die Megamaschine braucht uns Menschen immer weniger.
Falsch waren und sind trotzdem wesentliche Schlußfolgerungen, auf denen Gorz dann seine Vision einer künftigen Gesellschaft entwickelt. Falsch ist die Annahme, die Entwicklung erlaube, „mit immer geringeren Mengen von Arbeit und Kapital immer größere Mengen an materiellem [...] Reichtum zu erzeugen“.
Falsch ist das erste, weil Gorz hier plötzlich den Umweltaspekt außer acht läßt: Die Megamaschine verbraucht schon jetzt für ihren Betrieb mehr Ressourcen, als unsere Erde auf Dauer hergeben kann. Und sie macht dabei mehr Dreck, als unsere Biosphäre verkraften kann. Selbst wenn Produkte und Technologien durch „Sustainable Development“ noch ein bißchen ökologischer würden: Die Entwicklung auf einem endlichen Planeten erlaubt nicht, immer größere Mengen an materiellem Reichtum zu erzeugen. Das aber, ist fatale Grundlage der Gorzschen Überlegungen. [...]
Falsch ist zweitens, weil Gorz hier den Entwicklungsaspekt der armen Länder des Südens außer acht läßt: Auf dem Erdgipfel in Rio haben die Nichtregierungsorganisationen aus aller Welt vereinbart, nicht länger zu dulden, daß 20 Prozent der Weltbevölkerung 80 Prozent der Ressourcen verbrauchen. Das zeigt die Dimensionen auf, in denen wir vom materiellen Verbrauch herunter müssen. Vor allem darum wurde auch seitens der Regierungen in Rio festgestellt, daß das nördliche Entwicklungsmodell aus ökologischen Gründen nicht global anwendbar ist. [...]
Eins stimmt: Mit halb soviel Lohnarbeit könnten wir besser leben. Aber nur dann, wenn es uns anstatt auf mehr Wohlstand auf mehr Wohlergehen ankommt. Das heißt unter anderem, daß wir für halb soviel Lohnarbeit zwar entsprechend weniger Lohn bekommen, aber die andere Hälfte der Zeit für uns selbst arbeiten können. Und zwar in genau den lokalen Selbstversorgungskooperativen, wie sie Gorz für die sogenannten Entwicklungsländer empfiehlt. Wieso denn nur dort, wo bei uns 15 Prozent der landwirtschaftlichen Flächen stillgelegt werden sollen? Selbstversorgung ist aus ökologischen Gründen auch bei uns angesagt. [...] Theo Krönert, Facharbeitsgruppe „Entwicklungszentren und Entwicklungsprojekte für den Norden“ in der Arbeitsgruppe „Lebensstil, ökologischer Umbau im Norden“ im „Forum Umwelt und Entwicklung deutscher Nichtregierungsorganisationen“, Kaisersbach
Soziologie und Philosophie, die modernen, tragen zur Lösung der Gegenwartsprobleme soviel bei wie die Scholastik zur Raumfahrt. Bei Gorz findet man die Gründe.
„Der höchste Stand der Technik“ wird reklamiert. Klammert man nicht sofort, wie üblich bei ökonomischen Betrachtungen, die Ökologie aus, dann wird einem auffallen, daß weniger Arbeit für den Menschen durchaus nicht verbunden ist mit weniger Verbrauch von Ressourchen. Im Gegenteil, wo einst ausschließlich der Schweiß der Landmannes floß und keine „Verbrauchs“-ressource (wie z.B. fossiler Brennstoff) angestast wurde, muß heute zur Erzeugung einer Nahrungskalorie die fünfzehnfache Menge an Gewinnungs-Energie (z.B. König 1975, Interner Bericht, KFA Jülich, 17) eingesetzt werden. Will sagen, auch die höchste Hochtechnologie kanalisiert nur die Ressourcen besser, spart aber keine.
Der Ressourcenschwund, der bekanntlich nur in der Subsistenzwirtschaft unterbleibt, erfordert aber auf die Dauer immer mehr Aufwand zu seiner Kompensation. Die verbleibenden Ressourcen müssen von immer weiter hergeholt werden. Die Verfahren zu ihrer Gewinnung werden damit ständig aufwendiger. Die mikroelektronische Revolution erlaubt zwar genauere Bedarfs-, Höffigkeits- und Angebotsermittlungen und das vom Motormanagement über Transportoptimierung, Lagerstättenkunde und die Versorgung von Ortschaften bis zum Welthandel. Aber sie mindert keinen oder kaum den Bedarf pro Person. [...] Der Mensch in einer Großstadt, und sei er ein wahrer Öko-Engel, benötigt zum bloßen Überleben bereits mehr Energie als ein ganzes Dorf in einer subsistenznahen Wirtschaftsweise. Der Unprivilegierte wird sich möglicherweise Stereoanlagen und technischen Schnickschnack leisten, aber weder Heizkosten noch Miete tragen können. Autos und Joghurtbecher kann man per Mikroelektronik in automatischen Fabriken so schnell produzieren, wie man will – Trinkwasser ist nicht vermehrbar, um keinen Preis. Atomkraftwerke können nicht beliebig entsorgt, CO2 nicht aus der Atmosphäre zurückgeholt werden. [...] Solange in der Dichtefrage keine Entspannung eintritt, können wir die Biosphäre nicht retten. Keinesfalls ist die Mikroelektronik die Rettung vor dem Wachstumsamok. Was bei den Profiteuren das „nach uns die Sintflut“ – ist bei der Linken das „es wird uns schon noch was einfallen“-Syndrom. Beide haben dieselben Folgen – das Nichtstun im Wesentlichen. [...] Ernst-Wilh. Möbius, Hannover
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