■ Tagelange KurdInnen-Proteste in der Bundesrepublik: Ausblenden geht nicht
Gäste, die sich nicht benehmen wollen, können nicht erwarten, daß man sie länger beherbergt. Die Kurden, die den Krieg in der Türkei auf deutsche Autobahnen tragen, hätten ihr Gastrecht „in unerträglicher Weise mißbraucht“ und müßten nun mit harten Konsequenzen rechnen. Hausherr Helmut Kohl hat von seinen Gästen die Nase voll. Jetzt soll ihnen nachdrücklich die Tür gewiesen werden. So einfach ist das.
Tatsächlich erinnern die Auftritte Kohls, Kanthers und der übrigen wahlkämpfenden deutschen PolitikerInnen an den etwas weltfremden Gärtner, der, plötzlich mit der Realität konfrontiert, die Fernbedienung seines Fernsehers zückt und auf ein anderes Programm umschalten will. So leicht wird die freie Fahrt auf den bundesdeutschen Rennstrecken nicht wiederherzustellen sein, und zwar völlig zu Recht nicht.
Die Empörung des Hausherrn wirkt aus vielen Gründen hohl. Jahrelang hat die deutsche Außenpolitik ihren in Ankara zweifellos vorhandenen Einfluß nicht genutzt, um türkische Politiker und Militärs zu einer politischen Lösung in Kurdistan zu drängen. Statt mittels der Nato den türkischen Militärs klarzumachen, daß der Westen die Vertreibungs- und Vernichtungspolitik nicht nur gegenüber Saddam Hussein, sondern auch gegenüber den Nato-Partnern nicht länger dulden wird, gehen weiter Geld, Waffen und Lizenzen für den Nachbau deutscher Waffen nach Ankara.
Nach dem Putsch 1981, mit dem die jetzige besonders unnachgiebige Kurdenpolitik in Ankara eingeleitet wurde, war Kohl der erste westliche Staatschef, der das Militärregime hofierte. Und die erste Amtshandlung des amtierenden Außenministers Kinkel bestand in der Aufhebung des temporären Waffenembargos gegen die Türkei, und dies, nachdem sich zweifelsfrei herausgestellt hatte, daß die türkische Armee deutsche Panzer im kurdischen Bürgerkrieg einsetzt. Die Begründung für die deutsche Politik gegenüber der Türkei war immer auch die besondere Rolle, die sich durch die hier lebenden türkischen und kurdischen Einwanderer ergibt – Einwanderer, wohlgemerkt, nicht etwa einige Gäste, die hier gerade mal vorbeigeschaut haben. Auch wenn Kohl dies jetzt wegreden will: Die Bundesrepublik ist in den schmutzigen Krieg in Kurdistan verwickelt. Deshalb sind Demonstrationen in der Bundesrepublik kein Mißbrauch von Gastrecht, sondern legitimer Protest, der an die richtige Adresse geht.
Eine hiervon vollkommen unabhängige Frage ist die, ob die kurdischen Aktionen der letzten Tage geeignet sind, auf den Krieg hinzuweisen und Druck auf die Militärs in Ankara auszuüben. Autobahnen sind hierzulande ja nicht nur Verkehrswege, sondern Orte sinnlich erfahrbarer Freiheit. Einschränkungen dieser Freiheit rufen heftige Reaktionen hervor, die zu unterschiedlichen Ergebnissen führen können. Als vor Jahren Hunderte von Lkws Autobahnübergänge nach Östereich blockierten, eilte Franz Josef Strauß zum Kaffeeausschank an die Leitplanke. Von Nötigung war keine Rede. Als Stahlarbeiter immer mal wieder im Ruhrgebiet alle Autobahnen dichtmachten, wurde dies allgemein als Ausdruck von Verzweiflung verstanden – die letzte Möglichkeit für Leute, die anders auf ihre aussichtslose Lage nicht mehr aufmerksam machen können. Da jeder dies versteht, kommt in solchen Fällen zwar auch die Polizei, aber vor allem der zuständige Minister, um den Leuten gut zuzureden.
Wenn sich jetzt Kurden, von wem auch immer organisiert, auf die Autobahn stellen, einige sogar zum Äußersten greifen, sich mit Benzin übergießen und anstecken, wird dies als Provokation empfunden, ja sogar als „Terror in einer neuen Dimension“. „Die sollen uns mit ihren Problemen in Ruhe lassen“ ist noch die mildeste Reaktion. Daß diese Leute nicht gegen den Verlust von Arbeitsplätzen, sondern gegen Terror protestieren, will der für eine oder zwei Stunden seiner Freiheit beraubte Autobahnfahrer nicht wahrhaben – es geht ihn ja scheinbar nichts an.
Man könnte deshalb sagen, die Kurden hätten besser daran getan, sich mit der üblichen Demonstrationsrunde durch beliebige Innenstädte zu begnügen. Damit haben sie allerdings jahrelang nichts erreicht. Jetzt werden sie zum Ärgernis, das möglichst beseitigt werden soll. Doch erst wenn viele Deutsche begreifen, daß dieses Ärgernis nicht einfach abzuschieben oder auszublenden ist, wird bundesdeutsche Politik, werden die Nato und der Westen tatsächlich versuchen, die Ursache des Ärgers da zu beseitigen, wo er entsteht. Jürgen Gottschlich
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen