: "Die haben mich psychisch fertiggemacht"
■ Bei einer Debatte über ausländerfeindliche Übergriffe von Polizisten mußte auf Referenten aus dem Ausland zurückgegriffen werden / Berliner Polizei sagte ab
Dem jungen Pakistani riß der Geduldsfaden. „Darf ich mal was Persönliches erzählen?“ Taxifahrer sei er und kürzlich in einen Unfall verwickelt worden – unschuldig. Das hätten auch seine Fahrgäste bezeugt. Die hinzugezogene Polizei jedoch hätte ihm weder zuhören noch die Personalien der Fahrerin des zweiten beteiligten Autos aufnehmen wollen – die Frau habe mit der Sache nichts zu tun. Statt dessen sei ihm eine Anzeige wegen Beleidigung in den Briefkasten geflattert. „Die Polizisten haben mich Bastard genannt.“ Eine Woche sei er arbeitsunfähig gewesen. „Die haben mich psychisch fertiggemacht.“
Der Taxifahrer war nur einer von zahlreichen Interessierten und Betroffenen, die am Mittwoch abend im Rathaus Schöneberg auf Einladung der Internationalen Liga für Menschenrechte und Bündnis 90/Die Grünen über „Ausländerfeindliche Übergriffe der Polizei“ diskutierten. Aus aktuellem Anlaß: Seit etwa einem Jahr häufen sich Berichte über tätliche Angriffe von Polizisten auf Einwanderer in Berlin. Der Untertitel der Veranstaltung: „Kein Thema in der Berliner Politik?“
Jedenfalls kein Thema in der Berliner Polizei. Mit der Begründung, das Schreiben spreche für ein „bereits feststehendes Weltbild, das auch durch Sachargumente kaum zu ändern sein dürfte“, antwortete das Polizeipräsidium auf die Einladung und schickte keinen Vertreter. Der Leiter des Referats für gleichgeschlechtliche Lebensweisen, Heinz Uth, konnte wegen Krankheit nicht kommen.
So wurde auf Referenten aus dem Ausland zurückgegriffen. Aus England und den Niederlanden hatte die Debatte Vertreter nach Berlin gezogen. „Wenn wir wissen, daß einer von drei Menschen in Großbritannien rassistische Vorurteile hat, müssen wir annehmen, daß das in der Polizei genauso ist“, kommentierte Francesca Hailes, die in London in der antirassistischen Schulung von Polizisten arbeitet, die Behauptung, Rassismus in der Polizei existiere nicht. In sechswöchigen Seminaren werden in London Ausbilder der Polizei für den Umgang mit Minderheiten sensibilisiert. Einzigartiger Bestandteil der Kurse: Jeder Polizist wohnt ein Wochenende mit einem Schwarzen zusammen. „Eine der schwierigsten Aufgaben war allerdings, schwarze Familien zu überzeugen, einen Polizisten bei sich aufzunehmen.“
Den Rassismus sei man mit den Kursen nicht losgeworden, so Hailes: „Aber die Sensibilität ist gestiegen. Es fällt Polizisten jetzt schwerer, zu tun, was sie vielleicht gerne tun möchten. Und sie haben eine Vorbildfunktion.“ Daß Polizisten wichtige Adressaten antirassistischer Arbeit sind, ist auch in den Niederlanden längst eine Binsenweisheit. „Wer das Gewaltmonopol managt, muß sich auch über die Bedeutung dessen im klaren sein“, erklärte Polizeioberrat Michel Holtackers. Er forderte, Minderheiten stärker in die Polizei zu integrieren. Das Gegenargument, die Gesetze ließen dies nicht zu, wischte er vom Tisch: „Dann muß man das Gesetz ändern.“ In seinem Land sei aus ähnlichen Gründen die Mindestgröße für Polizisten heruntergesetzt worden. „Mediterrane Menschen oder Chinesen sind nun einmal nicht so groß.“
Sowohl die Niederlande als auch Großbritannien verfügen auch über ein Anti-Diskriminierungsgesetz, das es den Opfern von Rassismus einfacher macht, gegen Benachteiligung effektiv vorzugehen. Die Mitarbeiterin der Berliner Ausländerbeauftragten, Ulrike Haupt, zuckte angesichts dieser Berichte nur mit den Schultern. Ihr liegen aus den vergangenen fünfzehn Monaten sechzehn Beschwerden über erhebliche physische Übergriffe von Polizisten gegen Ausländer vor. Die Ermittlungsverfahren würden allerdings häufig eingestellt und die Glaubwürdigkeit der Beschwerdeführer in Frage gestellt, berichtet sie.
Den unerschütterlichen Glauben der Berliner Polizeiführung an die Objektivität ihrer Mitarbeiter kommentierte Polizeioberrat Holtackers: „Ein Frosch in einem Wasserglas merkt nicht, wenn die Temperatur steigt. Wenn es zu heiß wird, platzt er. Wir Menschen sind anders. Wir können Temperaturveränderungen rechtzeitig wahrnehmen.“ Jeannette Goddar
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