: Menschen wie du beziehungsweise ich: Fransen Von Claudia Kohlhase
Selbstverständlich sind in gewissen Kreisen Friseurbesuche kein Thema. Wer gibt schon unter aufrecht selbstbestimmten Berufstätiginnen mit solidem frauenbewegtem Sockel zu, daß man nicht nur Haare hat, sondern auch Frisuren. Ja, daß die Frau nicht nur ihre Frau stehen muß, sondern eventuell obenrum auch danach aussehen möchte.
Also so was war in unserem aufgeklärten Kränzchen kein Thema. Wer über Strähnchen sprach oder irgendein Spängerchen-Equipment, der gehörte doch zum Establishment. Vielleicht kam alles auch nur daher, daß Petra beim Friseur gewesen war und auf einmal verdächtig schick aussah. So, daß wir vor Schreck vergaßen, ihre plötzlich ungemein aufspringende Gesamthaarsituation zu ignorieren. Das sind meine Trendfransen, erklärte unschön eitel Petra. Was heißt hier Trendfransen, sagte ich streng, Fransen gab's zu allen Zeiten, bilde dir man bloß nichts ein. Kinders, laßt uns jetzt bloß nicht über Frisuren reden, wenn uns jemand hört, rief noch schnell Marianne und hatte gut reden mit ihren impliziten Locken.
Aber da war's schon zu spät, und alle wollten wissen, wie man zu einer derartigen Trendfranse käme und vor allem wo. Dabei mußten wir erfahren, daß Petra heimlich beim Top-Friseur gewesen war, wo man nicht nur Kräutertee zu Kastratenmusik trinken mußte, sondern auch von einem Maestro zubereitet wurde. Der im Urgrunde kein Friseur war, sondern eine Art Infant mit saarländischem Zungenschlag. Der ganz oft in Paris gewesen war und trotzdem noch mit Scheren arbeitete. Wir erfuhren, daß Petra lange um ihre Haarfarbe gekämpft hatte, am Ende aber einsah, daß sie gar keine besaß. Darum hatte Petra zusätzlich zu ihrer Trendfranse noch Strähnchen und Springspitzen zustimmen müssen – auch, um den Meister bei seiner sagenhaften und vermutlich pariserischen Laune zu halten. Wir rätselten lange, warum die Trendfranse Petra eigentlich so gut stand – was sie etwas erbitterte. Am Ende empfanden wir den relativ freien Konturenfall als Hauptursache.
Jedenfalls war ab da die Scham vorbei: Wir sprachen hemmungslos, wenn auch elaboriert, über Haare aller Längen. Und spürten mit einemmal: Wir saßen mitten im sensiblen Bereich. Denn der Dutt von Tine – sollte sie den nicht mal runterlassen, ebenso wie ihre hochgesteckten Erwartungen? Und der Pony von Heidi – war der eigentlich vorteilhaft bei dieser Stirne? Auf einmal brach Barbara in einen Weinkrampf aus und gestand, vor Jahren ergraut zu sein und uns mit ihrem vordergründigen Rot hintergangen zu haben. Wir trösteten sie, so gut das bei betrügerischen Rothaarigen eben geht, und widmeten uns danach der Ungerechtigkeit von ererbten Locken. Am ruhigsten war übrigens Gabi, die sich seit zehn Jahren die Haare wachsen lassen will, aber komischerweise kommt immer wieder was dazwischen.
Am Ende sprachen wir zum Ausgleich noch etwas über die westdeutsche Gesellschaft, „Schindlers Liste“ und die Umschlagsgeschwindigkeit von Strukturen, was wir aber nicht mit Spliss in Verbindung gebracht wissen wollten. Danach schämten wir uns derart redlich, daß alles wieder gut war und Gabi sich jetzt überlegt, ob sie ihre Haare nicht doch mal wachsen lassen will.
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