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■ Juka und seine „Armee“ verteidigten SarajevoTod eines Kriegsprofiteurs

Mit der Festnahme der vier ehemaligen Leibwächter und mutmaßlichen Mörder des Bosniers Jusuf Prazina am 17. März haben die bundesdeutschen Behörden einigen in den Balkankrieg involvierten Kreisen ein Ei der ganz besonderen Sorte ins Nest gelegt. Der stadtbekannte Kleinkriminelle Prazina oder „Juka“, wie er in Sarajevo genannt wurde, hatte in den letzten zwei Jahren eine recht ungewöhnliche Karriere gemacht. Vor Beginn des Krieges, als die legalen bosnischen Behörden mehr und mehr die Kontrolle über die Republik verloren hatten, war er zum größten Schuldeneintreiber Sarajevos avanciert. Im Frühjahr 1991 erzählte er TV Sarajevo, wie sein „Business“ funktionierte: „Zuerst besorgst du dir irgendeinen Schuldschein, schickst dem Schuldner eine Drohung, und wenn er nicht zahlen will, wendest du drastischere Methoden an.“

Da diese recht teuer waren, überstiegen die Provisionen der Schuldeneintreiber bald die zu zahlenden Summen. Innerhalb kürzester Zeit hatte Juka 300 Männer unter Waffen, die sich bei Beginn der Kämpfe den schlecht bewaffneten bosnischen Verteidigern anschlossen. „Jukas Armee“ besetzte die meisten strategisch wichtigen Positionen, besonders Benzin- und Lebensmittellager, deren Kontrolle lukrative Gewinne versprachen. Ihre langjährige Erfahrung in Sachen Flucht vor der Polizei erwies sich nun als Vorteil der Kriminellen in den Phantasieuniformen gegenüber den regulären bosnischen Soldaten. Sie erwiesen sich als unschlagbar im Straßenkampf, und es gelang ihnen, die Kanalisation Sarajevos in den Dienst der Verteidigung zu stellen.

Jukas Karriere erreichte ihren Höhepunkt, als seine „Armee“ die Residenz von Präsident Alija Izetbegović umstellte und diesen zwang, Prazina zum Kommandanten der bosnischen Spezialeinheiten zu ernennen. Von da an war es in Sarajevo eine Frage des Prestiges, Juka persönlich zu kennen – schließlich konnte dieser trotz der Belagerung jedes auch noch so exklusive Luxusgut beschaffen. Angesichts dieses Machtmonopols wurde Juka unvorsichtig, sicherte sich gegen andere mächtige Cliquen nicht genügend ab. Ende 92 verließ er Sarajevo – angeblich, um sich einer ominösen Partisanengruppe anzuschließen, die die bosnische Hauptstadt von außen befreien wollte. Tatsächlich trieb er sich monatelang in den bosnischen Bergen herum, nicht ohne ein paar der dortigen Hotels zu plündern, und diente dann einige Zeit im „Kroatischen Verteidigunsrat“ HVO des Separatisten Mate Boban. Zwischendurch wurde Juka einige Male in Belgrad und Zagreb gesichtet, bis er im Frühjahr 1993 in Belgien eintraf – angeblich, um sich zur Ruhe zu setzen.

Am 31. Dezember letzten Jahres fanden zwei rumänische Tramper die Leiche Jusuf Prazinas auf einer Autobahnraststätte zwischen Aachen und Lüttich. Umgehend begann die Gerüchteküche zu kochen: Im bulgarischen Vidin behauptete ein ehemaliger Anghöriger der bosnischen Armee, „Commander Juka“ sei in Stuttgart von einer bosnischen Organisation getötet worden, die eng mit Bakir Izetbegović, dem Sohn des bosnischen Präsidenten, verbunden sei. In bosnischen Emigrantenkreisen halten sich dagegen hartnäckig Gerüchte, nach denen Prazina mit dem syrischen Geheimdienst zusammengearbeitet habe. Andere Quellen schwören, letztendlich sei er Mitarbeiter des jugoslawischen Geheimdienstes KOS gewesen. Fest steht, daß Jukas mutmaßlichen Mörder die Karriere so manches UN-Offiziers beenden könnten, sollten sie in einem Prozeß über die Sarajevoer Aktivitäten ihres ehemaligen Chefs auspacken. Rüdiger Rossig

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