: Erneut wird alles gut
Nach dem 2:1-Erfolg gegen Italien glaubt Bundestrainer Berti Vogts, des Kaisers Titel mit des Kaisers Personal verteidigen zu können ■ Aus Stuttgart Peter Unfried
Fast schien er in der Luft zum Stillstand zu kommen. Zu schweben. Meterhoch. Über dem Rasen. Jeder, der Augen hatte, sah: So hoch, so schön, so perfekt springt keiner weit und breit. Irgendwann, viel später, ballte er die Hand zur Faust und schleuderte sie himmelwärts. Dann plötzlich entspannten sich die zuvor verzerrten Gesichtszüge und ordneten sich neu zu einem strahlenden Lachen. Just hatte er zum zweiten Mal ins Tor der Italiener geschossen, nun war Jürgen Klinsmann wieder einmal ganz oben: Und alles war gut.
Alles ist gut. Sagen wir: vieles. Glaubt nach dem mittwöchlichen 2:1 von Stuttgart nun auch Hans- Hubert Vogts aus Korschenbroich. Drei Monate sind es noch hin bis zur Weltmeisterschaft, für Berti aber könnte sie morgen anfangen. „Selten hat eine deutsche Mannschaft“, hat er gesagt und dazu passend auch ein selten zufriedenes Gesicht gemacht, „gegen Italien so viele Chancen gehabt.“ Richtig. „Ich habe über 70 Minuten ein starkes Spiel gesehen.“ Wieder richtig. „Ich glaube, daß meine Mannschaft heute die bessere war.“ Stimmte genau. Um es in gewohnter Bescheidenheit mit dem Kapitän zu sagen: „Ich habe“, erklärte Lothar Matthäus, „selten ein so gutes Spiel gesehen.“ Nun darf man nicht verschweigen, daß nicht alle im Stadion ein „starkes Italien“ (Vogts) gesehen hatten. Selbst Kollege Arrigo Sacchi, der wortgewandte Mützchenträger, mochte nicht verhehlen, daß er in den nächsten Wochen „noch genug Arbeit“ habe. Die Italiener konnten des Meisterdenkers Geniestrategie – vulgo: Zonendeckung und Pressing – gerade ein knappes halbes Stündchen umsetzen. Danach taten sich regelmäßig Lücken auf, und die Kreativität schien den Baresis und Donadonis vor lauter Konzentration auf ihr System gänzlich abhanden gekommen. Dennoch: Vogts rechnet mit Italien im WM-Viertel- oder Halbfinale und glaubt nun, erstens, zu wissen, „daß wir sie alle schlagen können“, und zweitens, wie. „Schnell spielen, das Tempo hochhalten“, hat Jürgen Klinsmann am Mittwoch gelernt. „Ein Team“ sein, hält Guido Buchwald für probat. Ein Team, darüber sind sich seit Mittwoch alle einig, ist man rechtzeitig zur WM wieder. Welches, weiß man nun auch: Das vom Kaiser Franz selig. Nachfolger Vogts', bekanntlich zwanghaft konservativ-restaurativ eingestellt, kam nach allerlei Experimentieren an und mit 24 Neulingen zu dem für ihn einzig möglichen Ergebnis: Keine Experimente! Folgerichtig hat er die Torwartfrage mit Illgner beantwortet („Hat den Sieg mit seinen Reflexen gerettet“), den kreativen, aber ob Tempo (zu gering) und Neigung zu Fehlpässen (zu viele) als Risikofaktor einzustufenden Brehme hinten links installiert. Mit der Einwechslung von Thomas Berthold hat Vogts klargemacht, daß er auch den tatsächlich mitnehmen will. Warum? Berthold weiß es: „Turniere haben ihre eigenen Gesetze.“ Eines ist offensichtlich, daß er als rechtmäßiger Weltmeister dabeizusein hat. Der Manndecker ist die achte Finalkraft aus des Kaisers 90er-Personal, die 1994 wieder ran soll. Dazu kommt der damals verschmähte Hinterbänkler Möller, dem Vogts „alle Freiheiten“ hinter der Spitze gönnen will. Oder hinter den Spitzen? Möller hat's „lieber hinter zwei“, weil sich's da leichter spielt. Vogts hat aber derzeit erst einen, nämlich die Bäckerinnungswerbefachkraft Klinsmann („Wir backen wie die Weltmeister“). Was tun, Herr Vogts? Nachdenken! Wer hat eigentlich vor vier Jahren...? Ah, der mit den grauen Löckchen! Folglich, sprach Berti, „werde ich in nächster Zeit öfter mit Rudi Völler telefonieren“. Für Insider ist es keine Frage: Auch der 33jährige wird schlußendlich wieder mitmachen müssen.
Was bleibt, könnte man nun fragen, eigentlich Vogts am Berti- Team? Antwort: Die beiden Matthäus-Lehrbuben im zentralen Mittelfeld. Einmal Matthias Sammer, der trotz einzigartigen Fehlschusses („ich weiß, daß 99,9 Prozent im Stadion das Tor gemacht hätten“) vieles einbrachte: Spielintelligenz, Entschlossenheit, Kreativität. Zum anderen Zweitligist Effenberg, der zweikampfstark, kraftvoll, rücksichtslos ist und sich neuerdings sogar „ganz diplomatisch“ geriert, wie er versichert. Er spiele, „wo der Trainer mich hinstellt“.
Die Fehler, die noch im System herumgeistern? „Sind dazu da, um abgestellt zu werden“, glaubt der pragmatische Trainer. Jener etwa, der dem ansonsten hochgelobten Stuttgarter Rechtsverteidiger Strunz beim 0:1 unterlief: Sei ein „daktischer“ gewesen, entlastete Franke Matthäus, weil man „bei so einem Eckball herausrücken müsse.“ Was Strunz unterließ, ihm aber wegen anderer Verdienste und weil er Besserung gelobte, nachgesehen ward. Im großen und ganzen: „Das Potential ist da“, hat Matthäus beruhigt erkannt.
Und Klinsmann, der in den Status eines Wunderstürmers zurückkehrte? Zwei Stunden nach seinem großen Gefühl gab er sich schon wieder nüchtern, aber entspannt. Das WM-Finale am 17. Juli in Los Angeles? Weit weg noch, aber: „Wir gehen raus aus diesem Spiel mit dem Wissen, jede Mannschaft der Welt schlagen zu können.“ Erleichtert seufzte die ihn umgebende Menschentraube italienischen Ausmaßes auf: Auch diesmal wird also wieder alles gut ausgehen!
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen