: Eine große nationale Aufgabe
■ Tilman Fichter zu der Notwendigkeit einer nationalen Politik und zu seinem Verhältnis zum Neokonservativen Zitelmann
In der letzten Woche sorgte eine Erklärung für Aufsehen, in der sich eine Reihe namhafter Historiker, Politiker und Autoren mit Rainer Zitelmann solidarisierten, unter ihnen Tilman Fichter. Zitelmann war von seinen Kollegen bei der „Welt“ heftig wegen der Rechtslastigkeit seines Ressorts kritisiert worden. Wegen seines Eintretens für den neokonservativen Redakteuer wurde Fichter von Micha Brumlik heftig attackiert (taz vom 19.3.). Dessen Solidaritätserklärung sei „ein wirklicher Skandal“.
taz: Herr Fichter, was veranlaßt den Referenten für Schulung beim Bundesvorstand der SPD, sich in einer redaktionsinternen Auseinandersetzung bei der „Welt“ auf Zitelmanns Seite zu schlagen?
Tilman Fichter: Ich trete seit vielen Jahren für die Freiheit der Andersdenkenden ein. Ich habe mich in den siebziger Jahren dagegen verwendet, daß Leute aus dem RAF-Umfeld einen Maulkorb erhalten. Genauso bin ich der Meinung, daß neokonservative Intellektuelle die Möglichkeit haben müssen, in jeder beliebigen Zeitung das zu sagen, was sie denken. Rosa Luxemburg hat Recht, wenn sie sagt, daß Freiheit nicht nur ein hohes Gut für die eigenen Leute ist, sondern auch für die Andersdenkenden.
Nun sollte Zitelmann nicht das Wort verboten werden, sondern seine Leistungen als Ressortchef standen zur Debatte.
Das hat mich überhaupt nicht interessiert.
Sie haben aber in ihrer Erklärung nicht nur der Meinungsfreiheit das Wort geredet, sondern Zitelmann gegen den Vorwurf der Rechtslastigkeit in Schutz genommen.
Ich kenne Zitelmann als Redakteur. Es ist Quatsch, ihn als einen Antisemiten zu bezeichnen. Er ist sicherlich im rechten Spektrum beheimatet. Aber die Angriffe gegen ihn müßten erstmal inhaltlich belegt werden.
Ein inhaltlicher Beleg ist eine von Zitelmann zu verantwortende Besprechung des Films „Schindlers Liste“ von Will Tremper, in der Heinrich Himmler als Kronzeuge gegen die vermeintlich falsche Darstellung der SS-Chargen im Film ins Feld geführt wird...
Dann soll man drei Ausgaben später eine Gegenbesprechung veröffentlichen, zum Beispiel von Henryk M. Broder. Es gehört eben zu einer demokratischen Öffentlichkeit, daß man solche Sachen nicht durch Verbote vom Tisch bekommt, sondern sich darüber auseinandersetzt.
Dieser Auseinandersetzung innerhalb der „Welt“-Redaktion haben Sie mit ihrer Solidaritätsbekundung ein Stück weit den Boden entzogen.
Die Redaktion darf nicht per Mehrheit die Diskussion beenden...
Das war auch nicht intendiert...
...natürlich war das intendiert. Als ich angesprochen wurde, ging es darum, ob Zitelmann aus der Welt gedrängt wird. Wir haben uns auch nicht mit seinen Positionen gemein gemacht in unserer Erklärung, sondern gesagt, wir kennen ihn als integren Mann, der in das demokratische Spektrum gehört und weiter in der Welt schreiben soll, was er denkt. Wo kommen wir hin, wenn wir anfangen, Leute mit Mehrheiten aus dem Diskussionsspektrum auszugrenzen? Wir landen in einer Erziehungsdiktatur.
Was macht die Position Zitelmanns so bedeutsam, daß Sie sich so für ihn in die Bresche werfen?
In erster Linie ist es die abstrakte Frage der Meinungsfreiheit, in zweiter die positive Erfahrung, die ich mit ihm als Redakteur im Ullstein-Verlag gemacht habe. Ich habe ihn als intelligenten, diskussionsfähigen rechtskonservativen Gesprächspartner kennengelernt.
Ist es das, was man die nationale Frage nennt, was Sie mit Zitelmann verbindet?
Mich verbindet mit Zitelmann in dieser Frage keine Seelengemeinschaft, politisch bin ich häufig ganz anderer Meinung als er. Ich bin nur für Meinungsfreiheit, auch wenn ich mit den jeweiligen Positionen nicht übereinstimme. Dafür habe ich früher von der Springerpresse Dresche bekommen, nun ist es eine neue Erfahrung, daß die Linke mich abstraft.
Zitelmann spricht von einem kritischen Konservativismus, der jetzt in Deutschland entstehe. Die Linke, die dies erkannt habe, reagiere deshalb so nervös, wenn ehemalige Linke konvertierten. Deshalb würden Brigitte Seebacher- Brandt, Martin Walser, Botho Strauß, Alfred Mechtersheimer und andere Ex-Linke mit besonderem Eifer verfolgt. Fühlen Sie sich auch verfolgt?
Nein, diese Aussage ist auch nicht korrekt, weil eine Reihe der Genannten sich nach wie vor als unabhängige Linke definieren. Ich bin gerne bereit, mich politisch zu definieren, aber nicht in meinem Verhältnis zu Zitelmann. Denn mit ihm verbinden mich nur zwei Sachen: die Meinungsfreiheit und die Tatsache, daß er mein Buch herausgegeben hat. In allen anderen Fragen, auch der nationalen, stehe ich ganz woanders...
Sie sehen keine Verbindung?
Nein. Ich kämpfe seit 1985 dafür, daß die Linke begreift, daß sich die nationale Frage durch die Spaltung Deutschlands nicht erledigt hat. Ich bin deshalb von links oft mit Häme verfolgt worden. Mittlerweile zeigt sich, daß die UdSSR zusammengebrochen ist und trotz der Verweigerungshaltung der Grünen und von Teilen der SPD die Vereinigung zustandegekommen ist. Jetzt kommt es darauf an, ob die Linke diese Herausforderung annimmt und ein starkes demokratisches Deutschland aufbaut, oder ob sie das Thema den Rechten überläßt. Ich habe die Erfahrung gemacht, daß viele Linke vor der Einheit der Deutschen Angst haben, weil sie letztlich nicht an die Demokratiefähigkeit des eigenen Volkes glauben.
Warum soll zur Etablierung eines demokratischen Staates der nationale Rahmen unabdingbar sein?
Das ist der Punkt, Sie kriegen das Wort Deutschland nicht über die Lippen. Das ist typisch. Mir kommt es darauf an, daß man diese historische Herausforderung ernst nimmt und in diesem Land mit seiner deutschen und auch tragischen Geschichte eine stabile Demokratie aufbaut. Das kann man nicht gegen die Deutschen machen, sondern nur mit der Mehrheit der Deutschen. Das heißt auch, daß man der Demokratiefähigkeit der Mehrheit vertraut und daß man nicht immer versucht, damit taktisch umzugehen.
Volkes Stimme zur Kenntnis zu nehmen, bedeutet nicht, sie ohne Wenn und Aber zu akzeptieren.
Die Deutschen sind ein demokratiefähiges Volk. Man sollte aufhören, die Besitzstände des geteilten Deutschland zu verteidigen und, was eine Spezialität der taz ist, literarisch verklärt den Faschismusverdacht gegen das eigene Volk zu erheben.
Da haben Sie eine sehr frühe Ausgabe gelesen. Der Stellenwert, den Sie programmatisch der Nation einräumen, ist doch überholt.
Der nationale ist der Rahmen, in dem sich die europäischen Völker organisiert haben. Es gibt ein einziges Land, das seit den Befreiungskriegen zu Beginn des letzten Jahrhunderts zwischen nationalem Größenwahn und nationaler Würdelosigkeit hin und her schwankt. Churchill hat gesagt, die Deutschen hat man entweder an der Gurgel oder sie lecken einem die Schuhe ab. Und jetzt sind wir, fünfzig Jahre nach Hitler und vier Jahre nach der Implosion der DDR, an dem historischen Punkt angelangt, an dem nicht nur die Linke, sondern auch die politische Klasse in Bonn sagen könnte, daß sie Frieden macht mit dem eigenen Volk und zusammen mit der Mehrheit eine stabile Demokratie aufbaut. Ich hoffe deshalb, daß wir endlich die soziale Frage mit der Demokratiefrage und der Frage der nationalen Identität offensiv angehen. Die SPD unter Schumacher und Ollenhauer hat gezeigt, wie eine solche Politik aussehen kann. Scharping hat hier große Möglichkeiten.
Soziale und Demokratiefrage d'accord. Doch wozu der Rückgriff auf die ideologische Klammer der deutschen Identität?
Es ist die Frage, ob man mit sich selbst Frieden schließt...
Sie meinen, die Linke mit der schweigenden Mehrheit?
Nein, es ist mehr als eine taktische Frage. Es trifft auch nicht nur die Linke, denn in der CDU ist die Verlegenheit um die nationale Frage genauso weit verbreitet wie bei den Grünen. Es ist ein Problem eines Großteils der politischen Klasse, der im Grunde genommen nicht akzeptieren will, daß nach wie vor die auch vom Widerstand gegen Hitler formulierte Aufgabe besteht, das andere, das antifaschistische, das gute Deutschland aufzubauen. Es wurde aber vom Anti- Hitler-Widerstand nie formuliert, ich denke an Julius Leber, jetzt bauen wir unseren „Staat“ auf. Diese soziologische Distanz in der Sprache, die heute in der politischen Kaste weit verbreitet ist, zeigt doch, daß man dieses seelische Problem mit Deutschland, das nach 1945 immer größer geworden ist, je mehr die Leute erkannt haben, was im Dritten Reich für Verbrechen angerichtet wurden, daß die nationale Problematik von der Politik und der alternativen Intelligenz nicht bewältigt worden ist: Sie hat darauf mit Jalta und Potsdam reagiert und sich gesagt: Gott sei Dank sind wir Deutsche gespalten. Das ist ein Zeichen einer extremen Schwäche. Man glaubt selbst fünfzig Jahre nach Hitler nicht, daß eine Mehrheit in diesem Volk für Demokratie ist. Ich bin jedoch, besonders nach den Montagsdemonstrationen in Leipzig, der Meinung, daß diese demokratische Mehrheit existiert.
Das wird auch von Linken nicht angezweifelt. Gerade deshalb kann doch auf die mobilisierende Kraft des nationalen Rahmens verzichtet werden.
Wenn die Arbeiter von Wuppertal in den kommenden Jahren auf zehn Prozent ihres Einkommens verzichten sollen, um Ostdeutschland zu reindustrialisieren, dann hat das mit der nationalen Frage etwas zu tun. Warum sollten sie auf einen Teil ihres Lebensstandards verzichten, wenn es nicht eine nationale Klammer mit den Menschen in Sachsen gibt? Einige Linke versuchen im Jargon der Sozialpolitik über eine große nationale Aufgabe hinwegzureden.
Warum sollte das jus sanguinis bindender sein als das Prinzip der sozialen Gerechtigkeit?
Die Blutdefinition haben Sie eingeführt, ich spreche von der gemeinsamen Geschichte, Kultur und Sprache...
...ich halte mich an die Verfassungsdefinition.
Sie sind ein gutes Beispiel für die Verweigerungshaltung mancher Linken und ihre spezifische Terminologie, wenn Sie mit dem rassistischen Argument der Blutsbande kommen. Die Blutsbande sind es nicht, es ist die gemeinsame Geschichte und Kultur. In Frankreich ist die Linke der Träger der nationalen Einigungsidee, und mir gefällt es überhaupt nicht, daß es bei uns vorwiegend die Rechte ist. Und da sind wir an dem wesentlichen Unterschied zwischen Fichter und Zitelmann. Meine Vorstellung entspricht eher dem französischen oder polnischen Modell.
Micha Brumlik sieht in Ihrer Vorstellung den Beleg, daß nationale Orientierung früher oder später nach rechts führt.
Das ist eine blöde Unterstellung ohne Beweise.
Wo ist denn Ihre Divergenz zu Zitelmann?
Ich berufe mich auf Schumacher und Zitelmann auf Ehler.
Sind Sie wegen Ihrer Position innerhalb Ihrer Partei kritisiert worden?
Nein, die heutige SPD ist eine erstaunlich liberale Partei.
Definieren Sie sich noch als Linker?
Ich definiere mich als unabhängiger Linker innerhalb der SPD. Interview: Dieter Rulff
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