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Vom großen Markt für Gifte und Wertstoffe

■ Deutschland ist Giftmüll-Exportweltmeister / Müll als Wertstoff über die Grenze

Berlin (taz) – Die Lager sind voll. Fässer, Kartons und Glasflaschen stapeln sich in den Hallen des Schweriner Landhandels. Ihr Inhalt: einige hundert Tonnen Altpestizide. Die Chemikalien sind in Westdeutschland schon seit langem verboten; in Ostdeutschland gibt es Übergangsfristen. Aber weil sie bereits zwischen 1985 und 1987 hergestellt wurden und ihr Haltbarkeitsdatum längst abgelaufen ist, gelten sie nach Recht und Gesetz auch als unzumutbar für die BürgerInnen in den neuen Bundesländern. Zwischen 8.000 und 10.000 Mark würde die Entsorgung einer einzigen Tonne des gefährlichen Giftmülls innerhalb Deutschlands kosten.

Zwei Herren werden bei der mecklenburgischen Firma vorstellig und bieten an, das Problem zu beseitigen. Einer, mit Namen Eberhard Riechert, gibt sich als Mitarbeiter der Norddeutschen Handelsgesellschaft Rostock aus, ein zweiter tritt als Prokurist Bonet von der in Hannover ansässigen Firma Schmidt-Cretan auf. Die ist zwar beim dortigen Amtsgericht nur mit dem Geschäftsgegenstand „Handel mit Spielkarten, Spielen und ähnlichen Artikeln“ gemeldet. Aber zumindest dieses Mal ist das lediglich Tarnung.

Der Export wird vorbereitet. Zunächst gilt es, entsprechende Papiere zu organisieren. Mehr oder weniger hohe Bestechungsgelder sind ein sicherer Weg zum offiziellen Stempel. Die Herren von Schmidt-Cretan leisten gute Arbeit: Nicht nur Vereinbarungen mit dem Chefinspektor für Pflanzenschutz im albanischen Landwirtschaftsministerium, Neitan Kodra, können sie nachweisen.

Exportpapiere sind leicht zu beschaffen

Auch das albanische Botschaftspersonal in Bonn gibt sein Einverständnis und bescheinigt der Giftfracht sogar, „humanitäre Hilfe“ zu sein. Ein drittes Papier stammt vom Bundesamt für Wirtschaft (BAW). Die deutschen Bürokraten bestätigen, daß die Substanzen nicht auf der Liste der für den Export in Comecon-Länder verbotenen Artikel und Kriegswaffen stehen – was zutrifft. Obwohl die Verpackungen lädiert wirken, lassen die deutschen Grenzbeamten die Giftbehälter passieren.

Im März 1992 fordern die als Empfänger deklarierten albanischen Staatsfirmen Schmidt-Cretan auf, die Lieferungen der Pestizide zu stoppen. Inzwischen hatten sie festgestellt, daß die Deutschen ihnen uralte Pestizide und andere in Albanien nicht zugelassene Substanzen angedreht hatten. Aber die Transporte hören nicht auf. Trotz des Protests von albanischer Seite erreichen noch drei Lieferungen mit insgesamt 217 Tonnen deutschen Giftmülls das Land.

Greenpeace hat den Fall dokumentiert. Weil sich die deutschen Behörden taub stellten, begannen die Umweltaktivisten vor kurzem selbst, Teile der in Reichsbahnwaggons auf dem Bahnhof von Bajza im Norden des Landes lagernden Gifte sicher zu verpacken und nach Deutschland zurückzutransportieren. Durch den Medienrummel aufgeschreckt, sah sich jetzt auch Umweltminister Klaus Töpfer genötigt, einzugreifen.

Deutschland ist Giftmüll-Exportweltmeister

Doch der Fall war der Regierung in Bonn schon lange bekannt. Schon im Februar 1992 leitete die EG-Kommission entsprechende Informationen an das Auswärtige Amt und das Umweltministerium weiter und drängte auf Abhilfe. Aber die Herren Minister zogen es vor, den Schwarzen Peter untereinander hin- und herzuschieben und erklärten sich jeweils für nicht zuständig. Unterdessen begann es in Bajza aus den Waggons zu lecken. Derartige Exporte sind hierzulande alltäglich. Mit etwa 500.000 Tonnen Giftmüllausfuhren im Jahr ist Deutschland weltweit einsame Spitze. Die USA folgen mit „nur“ 141.000 Tonnen auf Platz zwei. Oft geht der Müllexport auch ganz legal und ohne Bestechung über die Bühne: Die Händler haben sich inzwischen auf die gesetzlichen Lücken bestens eingestellt. Fast nichts mehr wird „zur Beseitigung“ außer Landes geschafft, sondern bekommt statt dessen die Bestimmung Verwertung, Recycling oder Aufbereitung untergeschoben. Häufig lösen die Empfänger, meist durch Verbrennung, nur einen für sie brauchbaren Stoff aus dem Müll heraus – hochgiftige Emissionen und Schlacken sind die Folgen. Besonders beliebt ist es auch, toxische Chemikalien unter Sägespäne oder anderes Füllmaterial zu mischen dann als Brennstoff über die Grenze zu schaffen.

Gerade seit das Umweltbewußtsein in Deutschland in den 80er Jahren stark zugenommen hat und infolgedessen die Entsorgungsstandards und damit auch die -kosten enorm angestiegen sind, blüht der Handel mit dem Gift. Die Verschärfung der Definition für Sonderabfall im April 1990 führte dazu, daß statt bis dahin drei Millionen Tonnen jetzt zehn Millionen Tonnen zu behandelnder Sondermüll entsorgt werden müssen. Die deutschen Händler brauchen bislang kaum damit zu rechnen, vor den Kadi gestellt zu werden: Der Straftatbestand Müllexport existiert nicht. Annette Jensen

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