piwik no script img

Potsdam hat sich zu Deutschlands neuer Hausbesetzer-Hochburg gemausert. Statt Dialog gibt's Räumungen und Randale, unter dem Damoklesschwert polizeilicher Räumungen läßt sich alternatives Leben nur begrenzt genießen. Von Annette Rogalla

Angst vor dem Ende kunterbunter Tage

Pippi Langstrumpf trägt ihr langes Haar rot-schwarz gefärbt, hüllt sich gerne in dunkle fließende Tücher und liebt ausschweifende Spaziergänge mit ihren beiden Hunden. Pippi Langstrumpf heißt natürlich ganz anders, aber so wollen wir die junge Frau einmal nennen. Ihre Villa Kunterbunt steht auf einem Hügel in Potsdam-Babelsberg. Dorthin zogen sich früher die Filmsternchen und Industrielle nach getaner Arbeit zurück. Krieg und Sozialismus kamen, seitdem verfallen viele Prachtbauten.

Auch die Gründerzeitvilla blieb nicht verschont. Als Pippi und ihre Freunde das Haus im vergangenen Frühling bei einem Spaziergang entdeckten, fegte der Wind durch die Fenster, die Türen waren herausgeschlagen, durch das Dach peitschte der Regen. Die jungen Leute kamen wieder, stopften Pappe und blaue Müllsäcke in die Dachlöcher, verkitteten „irre Mengen Glas“ und zimmerten aus Brettern eine Haustüre zurecht. Mit zehn anderen jungen Leuten, den Hunden Harald und Maude, zwei Katzen und einem Hasen probt Pippi Langstrumpf, die 22jährige arbeitslose Werbekauffrau, alternatives Leben.

Die Villa Kunterbunt ist eines von mindestens 23 weiteren besetzten Häusern in Brandenburgs Hauptstadt. Das beschauliche Potsdam hat sich zu Deutschlands neuer Hochburg für Hausbesetzungen gemausert. Etwa 250 junge Leute, so schätzt Jugendpfarrer Christian Waldmann, leben in den Häusern, der weitaus größere Teil von ihnen kommt aus dem Osten der Republik. Die desolate Wohnungssituation in der Landeshauptstadt hat sie zusammengeführt: 1.400 Wohnungen stehen leer, gammeln vor sich hin. Eine Bilderbuchmisere. Leerstand wegen ungeklärter Eigentumsverhältnisse, verrottete Häuser – und 10.000 Potsdamer, die den amtlichen Schein der Bedürftigkeit mit sich herumtragen. Täglich werden es mehr, ein wertloses Papier.

Die Stadt steht unter Hochspannung. Haus-Erben, Investoren und eine knallharte Betonfraktion im Magistrat drängen seit Monaten darauf, das „Besetzerproblem“ zu lösen. Im vergangenen September kam es nach der Räumung der „Tanzfabrik“ in der Gutenbergstraße zur ersten Randale, bei denen die Polizei keine Variante der zupackenden Härte ausließ. Ungerechtfertigten Eifer zeigten die Staatsdiener auch bei den jüngsten Räumungen und den anschließenden Demos. Vor zwei Wochen eskalierten die Auseinandersetzungen zwischen Besetzer und Staatsmacht erneut. In der Nacht zum 13. März entzündeten angetrunkene Besetzer ein Lagerfeuer am Straßenrand. Ein Steinhagel empfing die anrückende Polizei. „Die Aktion war echt beschissen“, sagt Pippi Langstrumpf heute. Von der Randale hält sie aber ebensowenig wie von den anschließenden Hausdurchsuchungen mit Räumung.

Zwar bot Baustadtrat Kaminski vor kurzem den Bewohnern von drei Häusern in der Innenstadt befristete Nutzungsverträge für drei Ausweichquartiere an. Aber kaum jemand in der Szene traut dem Hardliner lautere Absichten zu. Pippi Langstrumpf sieht das Ende ihrer kunterbunten Tage nahen. Der Besitzer ihrer Villa hat zwar noch keine Klage eingereicht, aber neulich zeigte der junge Hausmakler seine Pläne vor: Die Villa soll wieder hochherrschaftlich hergerichtet werden, der große Garten wird mit Appartments vollgestellt. Für experimentierfreudige Jugendliche ist da kein Platz. Sollte das polizeiliche Räumkommando vor der Villa auffahren, würden sich Pippi und die anderen forttragen lassen. Den Ruf „Keine Gewalt“, mit dem 1989 die Wende eingeleitet wurde, meinen die HausbesetzerInnen auch heute noch ernst.

Die Nachbarn mögen die Leute aus der Villa Kunterbunt, ihre beherzte Weise der Wohnungsnahme und ihre freundliche Art machen sie beliebt. Seit der Besetzung toben keine Kids mehr mit dem Vorschlaghammer durch das Haus und auch den zerzausten Garten pflegen die neuen Bewohner hingebungsvoll. Nach Feierabend zieht Leben in die Bude ein. Herzstück der Gemeinschaftsküche ist der runde Tisch, um den sich alle versammeln: die Buchhändlerin, der Zivi, der Telekom-Lehrling, die Arbeitslose und die Studenten. Sie sind alle jünger als 23 Jahre. Bei Broten und Bier bereden sie die notwendigen Arbeiten im Haus und die Probleme des Lebens im allgemeinen.

Gekocht wird selten, weil der Herd vor Altersschwäche nur eine Platte heizt. Aber was sind schon Mißlichkeiten wie kalte Heizungsrohre und tröpfelnde Dusche gegen das Gefühl der neuen Freiheit. Pippis Freundin Alice möchte „nie mehr tauschen“. Vor der Besetzung teilte sie sich mit einer anderen Frau eine Ein-Raum-Wohnung von 25 Quadratmetern in einem Betonspargel in der Neustadt von Potsdam. „Ein Leben wie in der Legebatterie war das. Da kommen prima Frust und Aggression hoch“, sagt Alice. Von ihrem Zuhause hatte sie sich schnell nach der Wende getrennt, als klar war, daß Vater, Mutter und die drei Geschwister voll auf dem Kurs der Marktwirtschaft segelten.

Alice begreift das unbequeme schöne Leben als Therapie, mit deren Hilfe sie sich die Übel der modernen Gesellschaft – Vereinzelung und Raffgier – möglichst lange vom Leibe halten kann. „Karriere, Geld. Das sind doch bloß Äußerlichkeiten, auf die meine Eltern abfahren.“ Und davon will sie genauso wenig wissen wie von einem Eigenheim mit Mann, Kind und Auto. „Der Humanismus geht uns sonst verloren“, davon ist Alice tief überzeugt. Ein Thema, über das sie sich die Wangen heiß reden kann. Noch sprießen in der Babelsberger Villa Sozialromantik und Lebensutopien. Noch steht Lenins Büste auf dem Vertiko neben der Couch.

Wie verhalten sich die anderen Potsdamer Hausbesetzer unter dem Damoklesschwert der Räumungen? Sie sind sich uneins. Der kleinere Teil der Szene hält Randale für das geeignete Mittel. Einige Häuser in der Innenstadt wurden bereits sturmsicher gemacht: Türen bekamen eine Verstärkung aus Stahlplatten, Fenster wurden mit Holzbohlen und Sichtblenden versehen, auf den Dächern liegt Stacheldraht. Ein ganz besonderes Pfand haben die Besetzer der Villa Bertini in der Hand. Sie kündigen an, im Falle einer Räumung das Prunkstück anzuzünden. Das sogenannte arabische Zimmer, ausgestattet mit edlen Hölzern und kostbaren Schnitzereien, ginge in Flammen auf. Dann würden nur noch zwei dieser Zimmer auf der Welt existieren.

Einst gehörte die Riesenvilla einem Mitbegründer der Deutschen Bank, der, weil er Jude war, Deutschland verlassen mußte. Was, wenn eines Tages seine Erben vor der Tür stehen und das Haus verlangen? „Auch die würden die Villa nicht kriegen“, antwortet ein junger Bertini mit Angelrute in der Hand. Sieht er keinen Unterschied zwischen Spekulanten der Marktwirtschaft und Alteigentümern, die heute das zurückverlangen, was ihnen die Nazis genommen haben? „Jüdisches Kapital hat doch am Krieg verdient. Und in die Gaskammern gingen doch nur die armen Juden. Die Reichen, wie der Besitzer der Villa, die konnten doch fliehen.“ Der junge Mann mit den Rastalocken bemerkt seinen Antisemitismus nicht. Diskutieren will er nicht, schließlich gebe es einen Besetzerratbeschluß, kein Wort mit der Presse zu wechseln, „wegen manipulativer Berichterstattung“.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen