: Das Wörterbuch des Gutmenschen Von Mathias Bröckers
Tue Gutes und rede darüber – mit diesem alten amerikanischen Rezept sorgen Stars und Superreiche stets für ein moralisch geliftetes Image. Da läßt der Baulöwe, natürlich vor laufenden Fernsehkameras, gern mal einen Scheck für Obdachlose springen, und Michael Jackson selbstverständlich eine Million Dollar fürs Kinderhilfswerk. Doch selbst dieses bigotte mediengeile Mäzenatentum hat sein Gutes, weil Handfestes und Bares, verglichen mit der Methode, nach der hierzulande gutgeredet wird – und sonst gar nichts. Im Wörterbuch des Gutmenschen – Zur Kritik der moralisch korrekten Schaumsprache (Edition Tiamat) haben Gerhard Henschel und Klaus Bittermann eine Blütenlese dieses Falschgelds versammelt: „Wut und Trauer“, „Die Mauer im Kopf einreißen“, „Glaubwürdigkeit“, „Tiefe Empörung“, „menschenverachtend und zynisch“, „Verkrustete Strukturen aufbrechen“, „Streitkultur“, „Ein Stück weit...“, „Gerade wir als Deutsche“, „Tschernobyl der Seelen“, usw. usf. Klassiker des schwerintellellen Gutgelabers, wie etwa „Trauerarbeit“, fehlen ebensowenig wie menschelnder Neo-Flachsinn vom Schlage „Mein Freund ist Ausländer“.
Manchen Gutworten wie dem „Querdenker“ sind gleich mehrere Einträge gewidmet – was mich an die Diskussionen um die „Querspalte“ in der taz Anfang der 80er Jahre erinnert. Der Unterschied zum „Kommentar“ wollte mir nie in den Kopf, und es gab ja eigentlich auch keinen. Bis auf die Verwendung des moralisch korrekten Schaumsprech. Wurde etwa ein Vorfall als „peinlich und empörend“ klassifiziert und dem Kanzler „fehlende Erinnerungsarbeit“ angelastet, war es ganz klar „Kommentar“ (und gab unter den „Querdenkern“ drei Alarmismus-Punkte auf der nach oben offenen Hartung-Skala), wurde hingegen ein „Vakuum zwischen den Kanzlerohren“ attestiert, war es ein klassischer Fall von „Querspalte“, weil: dem Soft-Porno des „öffentlichen Meinungspettings“ (G. Henschel) nicht ohne weiteres kompatibel.
Seit 1991 ist das alles nicht mehr so einfach: da geriet der „Querdenker“ in den Duden, als „jemand, der eigenständig und originell denkt“. Seitdem ist Querdenken quasi Volkssport, und da, so der bekennende Ex-Querdenker Kurt Scheel, liegt jetzt ein Problem: wenn mittlerweile (laut Emnid) 98,7 Prozent von unsereinem in solchem wohlverstandenen Sinne Querdenker sind, dann kommt das ganze Konformismus-Nonkonformismus-Spiel ins Rutschen! Abgesehen davon, daß Schubladen in der Regel ja sehr praktisch sind, könnte es sein, daß heutzutage und in diesem größeren Deutschland der Schubladendenker eigentlich der Nichtschubladendenker ist. (Mit Dialektik: es muß sein!) Daß der Gerade demnach der (Ver-)Quere ist?!? Daß also das Hamburger Nachrichtenmagazin Spiegel letztlich zu Recht Peter Glotz als Querdenker bezeichnet?
„Wer heutzutage alles schwul ist, da möchte man ja glatt das Ufer wechseln“, meinte angesichts der allgemeinen Outing-Welle vor einigen Jahren Günter Thews. Deshalb werden wir uns tunlichst hüten, diesen Buchhinweis jetzt noch mit einem quirlig-querliegenden Meinungserguß abzuschließen, sondern verbleiben schlicht mit dem Hinweis, daß dieses Lexikon des Gutmenschen ein „erfrischendes Leservergnügen“ ist.
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