■ Der Bürgermeister, der Papst und die Steuerhinterzieher: Die Karriere eines Türstehers
Brüssel (taz) – Gerade als es anfing, richtig lustig zu werden, trat der Bürgermeister von Brüssel- Stadt zurück. Vorbei die heiteren Stadtratssitzungen, wie etwa vor einer Woche. Als da ein Abgeordneter ankündigte, er werde jetzt den Bürgermeister zitieren, kam richtig Stimmung auf, weil der Präsident warnen mußte, daß in diesem ehrwürdigen Haus keine vulgären Ausdrücke erlaubt seien.
Dabei wollte der Abgeordnete nur aus einem Zeitungsinterview vorlesen. Einem Journalisten war es gelungen, mit großem Einfühlungsvermögen und einfachen Fragen die tieferen Schichten der Bürgermeisterseele offenzulegen. Mit wenigen schlichten Sätzen zieht der Stadtchef Michel Demaret den Haß der Anwälte, der Richter, der Stadtverwaltung, der Frauen und der Freunde des Papstes auf sich. Wegen der Sache mit dem Papst hat der Parteichef der Christsozialen sogar die Möglichkeit einer Klage wegen Verunglimpfung eines ausländischen Staatsoberhauptes prüfen lassen.
Einen Mann, der Pariser verbiete, ohne sie wirklich zu kennen, könne er nicht ernst nehmen, hatte Demaret ausgeplaudert. Gefragt, ob er schon mal Steuern hinterzogen habe, was in besseren Kreisen Belgiens zum guten Ton gehört, bedauerte Demaret, daß er bisher noch keine Gelegenheit dazu gehabt habe. Anwälte und die Richter nannte er die größten Steuerhinterzieher, und über Frauen riß er die üblichen Zoten.
Für die Christsozialen ist die Sache besonders dumm, weil sie im Stadtrat die Mehrheit haben und Demaret einer von ihnen war. Er wurde aber aus der Partei ausgeschlossen, weil sein Amtsgebaren nicht mit den christlichen Moralvorstellungen vereinbar sei. Eine etwas dürftige Erklärung, denn Demaret, der vor seiner Amtszeit als Türsteher gearbeitet hatte, hat sich nie bemüht, dem Image eines entlaufenen Stammtischbruders entgegenzuwirken.
Er wäre auch nie Bürgermeister geworden, wenn vor drei Jahren, als der damalige Amtsinhaber verstarb, der eigentliche Anwärter auf den Posten nicht verhindert gewesen wäre. Paul Vanden Boeynants, mit Kosenamen VDB genannt und die schillerndste Figur in der bunten belgischen Politszene, hatte damals gerade zu viele Affären am Hals, um sich gleich zu bewerben. Demaret sollte deshalb bis zu den Neuwahlen im kommenden Herbst den Stuhl warmhalten.
Inzwischen ist tatsächlich Gras über die Geschichten Vanden Boeynants gewachsen. Dazu hat auch die Entführung VDBs vor ein paar Jahren beigetragen, bei der bis heute der Verdacht nicht ausgeräumt ist, daß er sie selbst inszeniert haben könnte, um über den Mitleidseffekt endlich wieder von der politischen Strafbank herunterzukommen. Bis dahin ist das Kalkül des umtriebigen Polithais aufgegangen. VDB hat sich auch am heftigsten gegen die Entmachtung von Demaret gewehrt.
Eine Zeitung wollte Demaret den Titel „Mister zehn Prozent“ anhängen, kam aber bei Recherchen unter Bauherren zu dem Ergebnis, daß er zwar bestechlich, aber billiger sei. Zehn Prozent werden von ganz anderen genommen.
Weil der Bürgermeister nicht vom Stadtrat, sondern höchstens in Ausnahmefällen vom König zurückgetreten werden kann, hat ihm die Stadtversammlung alle Kompetenzen entzogen. Da hatte dann auch Demaret keine Lust mehr, bis September ohne Funktion und nur mit Schärpe herumzulaufen. In der Partei der Christsozialen tobt seitdem der Kampf um die Nachfolge. VDB scheint im Augenblick nur wenige, aber um so hilfreichere Freunde zu haben. Die flämische Zeitung Volk hat bereits angefangen, den ernsthaftesten konservativen Rivalen madig zu schreiben. Alois Berger
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