: „Ohne Gregor geht gar nichts“
Die PDS im Westen auf der Suche nach dem Wähler: Gregor Gysi als Geburtshelfer / Verständnisprobleme zwischen West-Feministinnen und Ost-Kadern ■ Von Heide Platen
Für die Wiesbadener ist das überraschend viel, für die Frankfurter enttäuschend wenig: jeweils um die zwanzig Menschen hatten sich in der vergangenen Woche hier wie da getroffen, um der PDS in den alten Bundesländern auf die schwachen Beinchen zu helfen. Rund achtzig Gruppen und Wählerinitiativen sind im Westen entstanden, meist nach Auftritten des unermüdlich reisenden Gregor Gysi. Die Hilfe für den zaghaften Aufschwung West ist bitter nötig, denn den zwischen 150.000 und 130.000 gehandelten Mitgliedern in den neuen Bundesländern stehen allerknappeste 1.500 in den alten gegenüber. Da ist Selbstironie schwer, als ein Stralsunder Kommunalpolitiker dem versprengten Häufchen im Bürgerhaus Bockenheim in Frankfurt Trost zuspricht: „Ich habe mir heute Frankfurt angesehen. Hier ist ja alles viel schwerer und ganz anders als bei uns.“
„Trotzdem“, findet Heike Schmüser vom hessischen Landesvorstand, „läuft es erstaunlich gut.“ In Marburg kamen nach einem Gysi-Besuch dreißig Interessierte zur Gründung einer Wählerinitiative zusammen. Viele von ihnen sind neugierig und wollen sich zwar engagieren, zum Beispiel Info-Stände betreuen, aber nicht gleich in eine Partei eintreten. Anderswo ist die Melange anders.
In Mainz-Kostheim sind vor allem die „alten Hasen“ aus Wiesbaden zusammengekommen. Sie sind entweder RentnerInnen mit gestandener kommunistischer Vergangenheit oder Dauerdozierer aus diversen K-Gruppen auf der Suche nach einer neuen politischen Heimat. Das hat auch seine Tücken, denn den „Normalos“ ist deren Diskussionsstil fremd. Die wenigen wirklich Neugierigen, schwant es Initiator Horst Gobrecht, der in der DKP organisiert ist, kommen nach einem Schnupperbesuch nicht wieder. Was nicht ganz unverständlich ist. Das Thesenpapier, das die politische Standortfindung befördern soll, ist eher abschreckend verquast. „Bitte nicht auch noch Absatz für Absatz lesen und interpretieren“, flüstert eine Besucherin.
Die „Knackpunkte“ der Diskussionen an der Basis sind vielerorts nicht allzu unterschiedlich. Soll man oder soll man sich nicht an den Wahlen beteiligen, nach der Macht greifen, sich im kapitalistischen System der Gefahr der Sozialdemokratisierung aussetzen? Daß das im Westen eine eher hypothetische Frage ist, stört vor allem die Verfechter des aufrechten Antiparlamentarismus nicht. Für manchen Kämpen aus den Reihen der DKP ist die PDS auch nur die falsche, aber bedauerlicherweise einzige, chancenreiche Partei. Die Wahlwilligen haben da, anders als auf dem Bundesparteitag, einen schweren Stand. Sie verweisen auf die der PDS zugewachsene Verantwortung, die in den Kommunen, Landtagen und im Bundestag ja unübersehbar schon übernommen worden sei. Sie werben gegen Maastricht, aber für die Möglichkeiten europäischer Vernetzung der Linken im Europaparlament, für die Chancen, die das Ausländerwahlrecht bietet, dafür, daß PDS-Bürgermeister Geld auch aus schmalen Stadtsäckeln sozial gerechter verteilen könnten.
Das Theoriedefizit wollen Ost und West, unter „stärkerer Einbeziehung der Geschichte der West- Linken“ aufarbeiten. Ein Insider übt Selbstkritik: „Von uns im Osten wurden die doch zu DDR- Zeiten nur als Versager der Geschichte gesehen.“ Vice versa ist Stalinismus-Kritik angesagt. Währenddessen streiten DKP und PDS um den zukünftig richtigen Weg zum Sozialismus. Die DKP beharre, so die PDS, engstirnig darauf, Partei der Arbeiterklasse zu sein, während die PDS darauf hoffe, daß sich das „historische Subjekt“ Mensch aus Einsicht „selbst formieren wird“. In Mainz- Kostheim blättert ein älterer Herr sich durch die Namensliste im neofaschistischen Hetzblatt Der Einblick. Er weiß, warum er in der eher schleppenden Diskussionsrunde verharrt, und sagt es auch: „Es ist doch wichtig, daß wir der Rechtstendenz was entgegensetzen.“
In der Bundestagsfraktion der PDS wird Ende Februar auch heftig gestritten. Ulla Jelpke springt auf, rennt aus dem Saal und knallt die Tür im 23. Stock des Langen Eugen heftig zu. Die Bundestagsabgeordnete aus Hamburg ist sauer auf die Männer. Und der Ostberliner Rechtsprofessor Uwe- Jens Heuer mit seinem oberlehrerhaften Gehabe macht es der West- Feministin auch gar nicht schwer, wütend zu sein. Es geht um die Redezeit im Bundestag zum Thema Verbrechensbekämpfung und Innere Sicherheit. Gregor Gysi ist da ein „Muß“. Aber Jelpke moniert, sie habe die Kärrnerarbeit geleistet, und aufs Podium solle nun der Mann. Ein Blick in die Antragsbilanz der Fraktion gibt ihr recht.
Gestritten hatten Abgeordnete und Fraktionsangestellte auch um die Formulierung eines Antrages zur Drogenpolitik. Legalize von Eigenkonsum, staatliche Heroinabgabe sind ungewohntes Terrain für die Ost-PDS. Die sächsische PDS, warnt Ursula Fischer, habe sogar die Freigabe weicher Drogen abgelehnt. Da tun sich gerade die älteren Herren aus der ehemaligen DDR schwer. Hans Modrow fürchtet „einen scharfen Gegenwind für dieses beachtliche Problem im Osten“. Er sinniert darüber, „daß wir“, und meint die neuen Länder, „das Drogenproblem wohl kriegen. Aber daß wir das auch noch wollen, dafür gibt es kein Verständnis im Osten.“ Außerdem fehlt ihm in dem Antrag der Hinweis auf den kapitalistischen Werteverfall.
Sie wirken nicht eigentlich unwillig oder widerborstig, die älteren Männer aus den neuen Ländern, sondern viel eher unsicher, antiquiert und fremdelnd im Umgang mit den Weiterungen des realen Kapitalismus, die für bundesdeutsch in Randgruppenbetreuung gestählte PolitikerInnen Schnee von gestern sind. Jelpke erinnert daran, „daß wir das hier in unseren Reden sowieso schon gesagt haben“. Außerdem stehe das längst im Wahlprogramm.
Das mit der Straffreiheit leuchtet Modrow dennoch nicht ein, und er verschwindet hinter seinem Erfahrungshorizont: „Wir haben doch eine psychologische Barriere bei uns, weil das nicht gestattet ist.“ Der West-Hinweis, daß Sucht sich nicht verbieten lasse, auf die legalen Drogen Tabak und Alkohol trifft den gegenläufigen Zonen- Nerv. „Guckt euch doch Jelzin an, der regiert ein ganzes Land“, mault ein Ostler. Und dann gibt es gleich wieder Streit. Die für den Wahlkampf engagierte Werbeagentur „Trialon“ hat den einen zu viel, den anderen zu wenig Kompetenzen. Da beißen sich die Vorstellungen des Bundesvorstandes von einer einheitlichen, gesamtdeutschen Gestaltung mit dem Selbstdarstellungsdrang der Abgeordneten bis zur bissigen Frage von Uwe-Jens Heuer, „ob denn die Agentur entscheiden darf, ob wir das Bild der PDS stören“.
Andrea Lederer, Rechtsanwältin aus Hamburg mit Randgruppenerfahrung, leitet die Fraktionssitzung pragmatisch sicher. Die Parlamentarische Geschäftsführerin sinniert beim Mittagessen im Langen Eugen, was demokratischer Sozialismus für sie selbst bedeutet, und zählt dann auf: „den Versuch, linke Vergangenheit differenziert zu diskutieren, ein paar Antworten auf globale, ökologische Fragen zu finden, jedenfalls kein Konzept für die nächsten dreihundert Jahre“. Mitregieren will sie nicht, sondern „Opposition bleiben“. Aber auch da sei sie mit sich selbst „ein bißchen im Widerspruch“.
Die Partei mit dem Label „Demokratische Sozialisten“ ist vorsichtig mit Gesellschaftsentwürfen geworden. Auch das Ingolstädter Manifest des Gregor Gysi ist eher allgemein gehalten. Pressesprecher Jürgen Reents: „ähnlich wie bei den Grünen, mit marktwirtschaftlicher Orientierung, aber auch Vergesellschaftungselementen“. Der Wahlerfolg von Beinahe-Oberbürgermeister Kutzmutz in Potsdam hat auch im Westen Aufschwung gegeben. Im Bundestag jedenfalls, weiß Reents, „werden die Zwischenrufe der anderen Parteien jetzt wieder lauter“. Nach dem Selbstmord von Gerhard Riege 1992 habe es eine Phase der Beruhigung gegeben. Die sei jetzt wieder vorbei.
Reents nennt einen gravierenden Ost-West-Unterschied: „In den neuen Ländern werden wir trotz, in den alten wegen unserer Asylpolitik gewählt.“ Das sei, meint er, ein Thema, „mit dem wir im Osten nicht werben“. Die Konflikte zwischen Ost- und West-Abgeordneten seien aber eigentlich gut handhabbar: „Die werden weniger ideologisch ausgetragen als bei den Grünen/Bündnis 90.“ Erfolge wie der in Brandenburg könnten allerdings trennend wirken, wenn sie „zu berauschend sind“ und dadurch den gesamtdeutschen Blick verstellen.
Langfristig setzt die PDS, trotz Kritik an der DKP, auch auf die Arbeiter. Das Engagement im thüringischen Bischofferode wird, da ist man wahlkampfsicher, ebenso honoriert werden wie das bei den Stahlwerkern in Rheinhausen. Dieter Kelp, der bürgerbewegungserprobte evangelische Pfarrer, geht im Ruhrpott als Lokalgröße in den Wahlkampf, der katholische Betriebsratsvorsitzende der Kali-Kumpel, Gerhard Jüttemann, kandidiert in Thüringen.
Eines steht fest für die westdeutschen Grüppchen mit und ohne Parteibuch: Ohne Gregor Gysi ginge nichts. Der Mann tingelt so unermüdlich wie gutgelaunt durch die alten Bundesländer. Er ist, Streit um die Wahlkampfagentur hin oder her, das einzige zugkräftige Werbemittel der Partei: „Die Säle sind immer rammelvoll.“ Selbst mit dem Vorsitzenden Lothar Bisky wäre das hier nicht zu machen, „und die anderen Leute, die kennt doch erst recht keiner“. Der Besuch der Veranstaltungen steige, „wenn Gregor da war, enorm“. Vorher hätten sie manchmal „allein oder zu zweit dagehockt“: „Das war eine deprimierende Zeit.“ Auch die offenen Listen hätten sich gegen örtliches Sektierertum und zur Belebung parteiinterner Auseinandersetzung bewährt. Da staunt mancher über die neue AG Christen: „Das hat es bei der DKP nicht gegeben.“
In Bayern, wo die PDS an Zahl exklusiver ist als der Lions Club, kann auch die bayerische SPD- Spitzenkandidatin Renate Schmidt großzügig sein. Sie forderte eine Differenzierung des CSU-Slogans von den „extremistischen Parteien“. Die PDSler seien zwar „idealistische Träumer“, aber nicht so einfach mit der praktizierten „Menschenverachtung der Republikaner“ gleichzusetzen. Solche Differenzierung ist, sagt Reents, „auch bei denen Grünen nicht selbstverständlich“.
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