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Eine Woche Verschnaufpause für Frankreichs Jugendliche

■ Am Tag nach den Kantonalwahlen suspendiert Premierminister Balladur die Niedriglöhne für Jugendliche / Konservative behalten Mehrheit, Linke wird stärker

Paris (taz) – Hunderttausende SchülerInnen und StudentInnen mußten erst demonstrieren, vier Wochen verstreichen und zwei Durchgänge der Kantonalwahlen stattfinden, bis Premierminister Edouard Balladur den Niedriglohn für Jugendliche zurückzog. Gestern war es soweit: Der konservative Premierminister verkündete nach einem mehrstündigen Gespräch mit Jugendlichen: Die beiden Dekrete zur „Eingliederung in den Arbeitsmarkt“ (CIP) werden für eine Woche außer Kraft gesetzt. Er werde nun nach neuen Lösungen für die Arbeitslosigkeit suchen, die in Frankreich knapp ein Viertel der unter 25jährigen betrifft.

SprecherInnen der StudentInnen bezeichneten den Rückzieher als einen „ersten Schritt in die richtige Richtung“, riefen ihre KommilitonInnen jedoch zu „Wachsamkeit“ auf. Den Aufruf zu ihrer nationalen Demonstration am Donnerstag hielten sie aufrecht. Sie wollen solange durchhalten, bis das Projekt Niedriglöhne für Jugendliche endgültig gestrichen ist.

Bereits am Sonntag abend hatte Balladur wenige Minuten nach Schließung der Wahllokale angekündigt, er wollen den „Dialog mit der Jugend“ intensivieren. Zu den Ergebnissen der Kantonalwahlen äußerte er sich nur mit einem knappen: „Wir können zufrieden sein“.

Im zweiten Durchgang der Kantonalwahlen haben die konservativen Parteien 52 Prozent der Sitze errungen, die SozialistInnen und ihre Verbündeten gewannen sieben Sitze hinzu und kamen auf 36,6 Prozent. Für die KommunistInnen stimmten 7,7 Prozent, für die rechtsextreme Nationale Front 2,6 Prozent, die Umweltparteien blieben unter 0,5 Prozent. Die Wahlbeteiligung war mit 58 Prozent etwas niedriger als beim ersten Durchgang eine Woche zuvor.

Der Vorsitzende der Sozialistischen Partei (PS), Michel Rocard, zeigte sich mit dem Ergebnis zufrieden, Die PS konnte sich gegenüber den starken Stimmenverlusten der Parlamentswahl im vergangenen Jahr erholen. Der Parteichef sprach von einer „großen Überraschung“, daß „die traditionellen Kräfte der Linken“ so rasch wieder hätten aufholen können. Es sei selten in der französischen Politik, daß sich eine als sicher gelaubte Niederlage in eine „absolut unerwartete Situation umkehre“.

Das gute Abschneiden der rechtsextremen Nationalen Front (FN) in mehreren Kantonen übergingen die Sprecher von SozialistInnen und Konservativen in ihren Kommentaren zum Wahlergebnis. Die Partei von Jean-Marie LePen hat in den Städten Dreux im Nordwesten von Paris und in Toulon in Südfrankreich jeweils über 50 Prozent der Stimmen für ihre Kandidatinnen gewonnen.

Dreux, wo Marie-France Stirbois wiedergewählt wurde, gilt als die traditionelle Hochburg der Partei. In der vergangenen Woche hatten sich in Dreuz alle konservativen und linken Parteien zu einer „republikanischen Front“ zusammengefunden, die den sozialistischen Gegenkandidaten von Stirbois unterstützte. Dennoch reichte die Disziplin der WählerInnen nicht, um die rechtsextreme Kandidatin zu verhindern – sie bekam 54 Prozent der Stimmen.

In Toulon kam der FN der Mord an der Parlamentsabgeordneten Yanne Piat zunutze. Die „Sauberfrau der Côte d'Azur“ und ehemalige FN-Politikerin war vor einem Monat in einem offensichtlich politisch motivierten Attentat erschossen worden.

Die – bislang erfolglosen – ErmittlerInnen haben auch zahlreiche konservative Lokalpolitiker als mögliche Hintermänner im Visier. Einer der Verdächtigen ist der Konservative Maurice Arreckx, der langjährige enge Kontakte zum lokalen Milieu haben soll. Arreckx verlor im zweiten Durchgang der Kantonalwahlen gegen die FN-Politikerin Eliane de la Brosse.

Ihr politisches Programm ähnelt dem der Ermordeten Piat: Sie will die Côte d'Azur von zwielichtigen und mafiösen Elementen befreien. Dorothea Hahn

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