piwik no script img

Fundamentalisten profitieren vom Boykott

■ Ministerpräsidentin Çiller Siegerin bei türkischen Kommunalwahlen

Ankara/Bonn (AFP/dpa) – Die fundamentalistische Wohlfahrtspartei (RP) hat ihren Stimmenanteil bei den Kommunalwahlen in der Türkei im Vergleich zu 1989 verdoppelt. Nach Auszählung der Hälfte der Stimmen erreichte sie nach Angaben des türkischen Fernsehens vom Montag im Landesdurchschnitt 16,98 Prozent. Vor allem in Südostanatolien profitierte die RP vom Rückzug der prokurdischen Partei der Demokratie (DEP) und dem Boykottaufruf der verbotenen Arbeiterpartei Kurdistans (PKK). Nach inoffiziellen Angaben gab es in den Kurdengebieten einen erheblichen Anteil Enthaltungen und ungültiger Stimmen. Mit knapp 25 Prozent geht die regierende Partei des Rechten Weges (DYP) von Ministerpräsidentin Tansu Çiller unerwartet gestärkt aus dem Urnengang hervor. Zweitstärkste Kraft wurde die oppositionelle Mutterlandspartei mit 21,42 Prozent. Die mitregierende Sozialdemokratische Volkspartei erhielt lediglich zwölf Prozent der Stimmen. Ihre stärksten Gewinne erzielte die Wohlfahrtspartei in den großen Städten und den Kurdengebieten Südostanatoliens. In Ankara und Istanbul erreichten die Fundamentalisten nach den jüngsten Angaben 25,88 beziehungsweise 23 Prozent und wurden damit zweitstärkste Kraft. In elf von insgesamt 38 ausgezählten Provinzversammlungen erhalten sie ersten inoffiziellen Angaben zufolge die Mehrheit. Im südostanatolischen Diyarbakir lag die Wahlbeteiligung nach inoffiziellen Angaben trotz Wahlpflicht lediglich bei 75 Prozent. Außerdem seien etwa 30 Prozent der abgegebenen Stimmen Enthaltungen oder ungültig gewesen. Das „Koordinationsbüro Newroz“ teilte am Sonntag abend in Frankfurt am Main mit, F 16-Kampfflugzeuge der türkischen Luftwaffe hätten sechs kurdische Dörfer angegriffen und völlig zerstört. Augenzeugenberichten zufolge seien etwa 50 Zivilisten getötet und 90 weitere verletzt worden. In verschiedenen kurdischen Orten seien am Wahltag etwa 200 Menschen festgenommen worden. Die Behörden hatten die Sicherheitsmaßnahmen in Südostanatolien verstärkt, wo bereits 500.000 Soldaten und 50.000 Milizionäre, sogenannte Dorf-Beschützer, gegen die PKK im Einsatz sind.

Die Bundesregierung ist nach Auffassung der Gesellschaft für bedrohte Völker durch Rüstungsexporte mitschuldig am „Krieg gegen die kurdische Minderheit in der Türkei“. Allein zwischen 1985 und 1991 seien Rüstungsgüter im Gesamtwert von 3,6 Milliarden Mark in das Land geschickt worden, sagte der Vorsitzende der Organisation, Tilman Zülch, am Montag bei einer Mahnwache von Kurden vor dem Verteidigungsministerium.

Deutschland sei der einzige Staat innerhalb der Nato, der der Türkei seit 1964 Waffen schenke, sagte Zülch. Nach Regierungsangaben seien zwischen 1985 und 1991 Material aus Beständen der Bundeswehr sowie der ehemaligen Nationalen Volksarmee der DDR großzügig abgegeben worden. Darunter seien etwa 300 Schützenkampf- und 350 Mannschaftstransportwagen, zehn Brückenlege- und 20 Bergepanzer, rund 100.000 Panzerfäuste, 256.125 Maschinenpistolen vom Typ Kalaschnikow und 450 Millionen Schuß Munition gewesen. Seiten 3 und 10

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen