: „Du kannst eigentlich nur Fehler machen...“
■ Über die geheime Kunst des Übersetzens: ein Gespräch mit Rainer Iwersen, Shakespeare Company
Romeo sülzt rum. Reimt wie nichts Gutes, raspelt Süßholz. Und Julia kann sich noch so gernervt zeigen, es hilft alles nichts: Den Theaterkennern, den braven, gilt Romeos plumpe Anmache noch heute als die schönste Liebeslyrik. Da rauft sich der Rainer Iwersen die graue Mähne: Wenn er das richtig übersetzt, also im angemessenen Schnulzenjargon – „dann sagen die Leute wieder: Das ist nicht Shakespeare“, und die Rezensenten bemäkeln das „moderne Deutsch“ der Fassung. So ist das Los des Übersetzers. Iwersen trägt es mit geradezu heiligmäßiger Bescheidenheit. Denn meistens ist die Arbeit seines Berufsstandes dem Theatervölkchen ohnedies keine Rede, keine Zeile wert. Gleichviel: Wenn jetzt, in der zweiten Runde des Shakespearefestivals, das gesammelte Repertoire der Company gespielt wird, ist auch ein Stück von Iwersens beharrlicher Arbeit wieder hör- und sichtbar.
Falstaff flucht. Das kann er, neben dem Saufen und Raufen, bekanntlich am besten – aber wie, indreiteufelsnamen, klingt denn das auf deutsch? Die einschlägigen Übersetzungen wissen jedenfalls auch nichts genaues: „Alles, was bei Shakespeare obszön gemeint war, ist in den klassischen Fassungen rausgestrichen worden“, sagt Iwersen. Das gilt auch und gerade für die allseits verbreitete Schlegel/Tieck-Übersetzung, wie sie jede Laienbühne bis heute brav herunterbetet: In deren „uns heute biedermeierlich anmutenden Sprache“ seien die gezielten Grobheiten des Originals oft entschärft und abgemildert. Also muß Iwersen wieder an die Wurzeln gehen – nur, wo die liegen, das weiß heute niemand mehr genau.
Denn schon zu Lebzeiten des Dichters, berichtet Iwersen, kursierten verschiedene Versionen z.B. von „Der Sturm“. Teilweise unspielbare, weil viel zu lange – Texte, die offenbar bereits eine eigenständige literarische Form angenommen hatten. Mit diesen diversen „Originalen“ schlagen sich Übersetzer wie Iwersen nun herum. Und fragen sich immer wieder auf's neue, wie es zu Shakespeares Zeiten denn wohl gemeint war – wenn z.B. von „will“ die Rede ist. Der Wille? Oder der Dichter selbst – Will Shakespeare? Oder doch wieder ein derber Fluch – wie es das altenglische Schimpfwörterbuch nahelegt, mit dem Iwersen (neben vielen anderen Spezialbüchern) arbeitet; demnach bedeutete „will“ nicht gemeineres als „Schwanz“.
Hamlet leidet. Ringt, tobt, verliert – so sieht's der Übersetzer gerne. Denn der innere Reichtum der Shakespeare-Charaktere ist es, der Iwersen motiviert, der ihn immer wieder zu seinem Wahnsinnswerk antreibt – immerhin sitzt er ein gutes Vierteljahr an einem Stück. In Shakespeares Welt sieht er „ein Spiegelkabinett“ der menschlichen Schwächen und Stärken: „Weil wir uns darin so herrlich vielfältig gebrochen sehen können“, besitzen die spätmittelalterlichen Stoffe für ihn immerwährende Aktualität. Solche Reichhaltigkeit - auch der Sprache - bringt freilich schon wieder immense Probleme mit sich. Denn mit Shakespeare sind die Übersetzerverfahren, wie es ihnen gefiel: „Manche haben aus ihm den christlichen Dichter gemacht, den barbarischen, den einzig politischen - das kann man alles drin finden, aber es ist natürlich eine unglaubliche Verkürzung.“ Und Iwersen selbst? Der will aus dem inzwischen „literarischen“, gut abgehangenen Shakespeare wieder den „gestischen Text“ herausarbeiten; den, der auf der Bühne zählt. „Die theatralischen, sinnlichen, konkret leiblichen Vorgänge im Stück sind ja in den alten Übersetzungen oft gar nicht zu finden.“
Da klingt's natürlich vollends nach dem Volkstheater, das die Shakespeare Company - Iwersen hat sie schließlich mitbegründet -seit zehn Jahren anstrebt. Entsprechend geht es Iwersen auch nicht um Buchstabentreue: Es gilt vielmehr, „den in einem Stück herumspukenden Geist mit heutigen Sprachmitteln zu greifen.“ Die „pure Information“ sei gar nicht das Wichtigste: „So ein Text enthält ja noch eine Fülle anderer Signale, die Bedeutung vermitteln“ - Versmaß, Rhythmus, Lautmalereien... und überhaupt: „Englisch kann ich garnicht so gut“; wichtiger sei allemal das Gefühl für „Sprache und ihre Färbungen“. Und eben der „Geist“ des Stückes.
Iwersen seufzt. „Du kannst eigentlich nur Fehler machen.“ Ans Original - was immer das nun ist - „kommst Du sowieso nicht ran“. Wie überhaupt das Übersetzer-Geschäft stets „zum Scheitern verurteilt ist.“ Da kann er nur versuchen, es halt so gut wie möglich zu machen; sich an den guten Geist des Dichters recht nah ranzupirschen. Sieben Stücke hat er so inzwischen in neue Form gegossen, zuletzt den Richard II. Da wars wieder mal soweit: Ein Kritiker bemängelte die neudeutschen Knittelverse im Finale - aber genauso, „als Schmierenkomödie im Stück“, wars doch gemeint... Gleichviel - für solche seltenen Momente lebt der Übersetzer: „Wenn der Text etwas vermittelt vom Aufeinanderprall der beiden Zeiten.“ Thomas Wolff
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