: „Gasometer sprengt man nicht!“
Vor zehn Jahren wurden drei historische Gasometer in Prenzlauer Berg trotz heftiger Proteste der Bewohner gesprengt, weil der Bildhauer des Thälmann-Denkmals keinen störenden Anblick dulden wollte ■ Von Uwe Rada
Am Abend davor wollten sie sich anketten. Vier Personen waren im Schutz der Dunkelheit über ein Nebengebäude aufs Gelände des alten Gaswerks gelangt, bewaffnet mit Eisenketten und einem Fahrradschloß. „Mehr als zehn Meter weit sind wir allerdings nicht gekommen“, erinnert sich Conny Kirchgeorg. Statt die Sprengung der drei historischen Gasometer zu allerletzt noch zu verhindern, wurden Kirchgeorg und die übrigen Aktivisten des Prenzelberger Friedenskreises in Polizeigewahrsam genommen. Bis dann alles vorbei war. Am darauffolgenden Nachmittag lagen die Wahrzeichen des Prenzlauer Bergs in Schutt und Asche.
Im Schutz der Dunkelheit, bewaffnet mit Eisenketten
Der 28. Juli 1984 war ein Samstag. Die Anwohner waren bereits Tage davor aufgefordert worden, „zur Verhütung von Sprengschäden die Fenster zu schließen“. Den ganzen Tag über patrouillierten Sicherheitskräfte im Gebiet um die Prenzlauer Allee und Greifswalder Straße, auf der Suche nach Flugblättern und „verdächtigen Personen“. Doch knapp 200 Menschen waren gekommen, um mit ihrer bloßen Anwesenheit zu sagen: Nein! Auf der Brücke über den S-Bahn-Graben an der Dunkkerstraße standen diejenigen, die die massigen Klinkerbauten ein letztes Mal fotografieren wollten. Auf den Dächern der umliegenden Mietskasernen waren die Silhouetten zahlreicher Künstler und ihrer Staffeleien zu erkennen. „Zum ersten Mal“, sagt Conny Kirchgeorg, „gab es in Ostberlin einen breiten Protest. Die Gasometer sollten gegen den Willen der Berliner gesprengt werden.“
Zum erstenmal gab es in Ostberlin Protest
Die 30 Meter hohen und im Durchmesser 60 Meter breiten Gasbehälter aus rotem Klinker waren die letzten Baudenkmale des „IV. städtischen Gaswerks“ aus der Gründerzeit. Nachdem bereits 1826 mit der Beleuchtung der Straße Unter den Linden mittels Stadtgas begonnen wurde und 1837 auch die ersten Privathaushalte ihre Öllampe in die Ecke stellen konnten, war die Kapazität des bis dahin einzigen Gaswerks am Halleschen Tor erschöpft. Es folgte ein zweites an der Holzmarktstraße, ein drittes am Stralauer Platz und ab 1872 ein viertes auf dem Gelände der „Adler- Mühle“ am damaligen Güterbahnhof Weißensee. Sechs Gasbehälter wurden an der Ringbahn und der heutigen Dimitroffstraße errichtet, drei davon im Zweiten Weltkrieg zerstört.
Als die Mitglieder des Politbüros der SED im Jahre 1976 beschlossen, die Produktion des nach dem Krieg wiederaufgebauten Gaswerks im Jahre 1981 einzustellen, freute sich der frisch gekürte Vorsitzende des Staatsrats. „Was das für die Verbesserung der Berliner Luft bedeutet“, meinte Erich Honecker, „wissen die Berliner nur zu gut. Das Gelände der Gaskokerei kann dann für einen Park oder den Wohnungsbau genutzt werden.“ Pünktlich zum 100. Geburtstag des im KZ ermordeten KPD-Führers sollten 1986 1.300 Wohnungen samt Parkanlage und Denkmal entstehen. Die drei erhaltenen Gasbehälter wollte man als Baudenkmäler in die Planung einbeziehen: als „Kreiskulturhaus“, wie ein Kolumnist in der B.Z. am Abend schrieb, als „Riesendisko“ oder aber „auch als Zirkus“. Noch zwei Jahre später, 1983, wurde in einem Artikel der Neuen Berliner Illustrierten (NBI) versprochen: „Die mächtigen Gasometer werden nicht in die Mangel genommen. Sie bleiben als technische Baudenkmale erhalten.“ Der Beschluß, die steinernen Zeugen der Industrialisierung wegzusprengen, war zu diesem Zeitpunkt allerdings schon ein Jahr alt.
„Nicht jede Substanz kann erhalten werden“
„Eines Tages“, erinnert sich Conny Kirchgeorg, „war an der Greifswalder Straße eine Riesenleinwand aufgespannt.“ Die Greifswalder Straße lag als Protokollstrecke auf dem Weg von der SED-Siedlung Wandlitz in die Berliner Innenstadt. An jenem Tag wurde der Blickfang für das Thälmann-Denkmal aus der Perspektive der Protokollstrecke geprüft. Mit dabei: Lew Kerbel, ein russischer Bildhauer, der nach der Erschaffung des Karl-Marx-Denkmals im heutigen Chemnitz nun auch mit der künstlerischen Leitung für das 15 Meter hohe und 16 Meter breite Denkmal beauftragt worden war. Seine Aufgabe: Ein Denkmal zu schaffen, „das durch seine Monumentalität, Schönheit und politische Ausdruckskraft zum beherrschenden Bestandteil der Gesamtkonzeption“ wird. Dafür standen freilich die Gastürme im Weg. Im Juli 1982 wurde deshalb entschieden, die Gesamtkonzeption des Thälmannparks ohne die Gasometer zu realisieren. Doch erst Anfang 1984 wurde dieser Entschluß bekanntgegeben. Zur Begründung für den Abriß hieß es, der gesamte Boden der Behälter und das Mauerwerk hätten sich mit einer „trüben, stinkenden Brühe“ vollgesogen, so daß die Standfestigkeit der alten Gebäude nicht mehr gegeben sei. Der oberste Denkmalpfleger der DDR, Ludwig Deiters, setzte sich an die Spitze einer Medienkampagne: „Nicht jede Substanz, die von gewissem kulturhistorischen Wert ist, kann erhalten werden“, schrieb er. Dies gelte auch für die „Mauern der Gasbehälter des künftigen Thälmannparks, deren Erhaltung nach Abwägung aller gesellschaftspolitischen Gesichtspunkte nicht gerechtfertigt ist“.
Doch viele wollten diese Kehrtwende nicht mitmachen: „Als Mandatsträgerin des Kulturbundes ist Ihnen sicher bekannt, daß es sich hierbei um kulturhistorisch einmalige Bauten in Europa handelt“, schrieb etwa der heutige Verleger Christoph Links, der die Aktivitäten als „Beginn der zivilen Ungehorsams“ bezeichnet, an die damalige Stadtbezirksrätin für Kultur. Über 100 Eingaben „durch oppositionelle und feindlich-negative Kräfte“ zählte die Hauptabteilung XX (Bekämpfung der politischen Untergrundtätigkeit) der Staatssicherheit und sprach in einem Resümee von „beachtenswerten“ Aktivitäten. Zwar räumte auch die Stasi ein, daß es Proteste auch von „beruflich interessierten, oder anderweitig engagierten, nicht politisch motivierten“ Personen gab, kriminalisiert wurden die Aktivitäten dennoch als „organisierte Aktion hinlänglich bekannter oppositioneller Kräfte“. Eine Studentin der Kunsthochschule Weißensee, die mit anderen zusammen ein Konzept für die weitere Nutzung der drei Rundgebäude ausgearbeitet hatte, wurde kurz vor der Sprengung sogar exmatrikuliert. Der offizielle Grund: „fehlende gesellschaftliche Aktivität“ und „politische Unreife“.
„Das Spannende an den Aktivitäten“, sagt Conny Kirchgeorg, „war, daß keiner so recht vom andern wußte.“ Mit ihren Leuten von der „Prenzelberger Friedensinitiative“ hatte sie selbst Handzettel mit der Aufschrift „Gasometer sprengt man nicht!“ in die Briefkästen gesteckt. Andere klebten Linolschnittplakate in die Hausflure, hängten Plakate und Transparente entlang der Hochbahn in der Schönhauser Allee auf oder stellten Bilder der Gasometer mit einem weißen Trauerflor versehen in ihre Parterrefenster. Nachzulesen sind diese Aktivitäten allesamt in den Unterlagen der Staatssicherheit. So zum Beispiel über eine Unterschriftensammlung der Sektion Ästhetik an der Humboldt- Universität oder die Ankündigung der Gruppe „Frauen für den Frieden“, die Gasometer am Tag der Sprengung mit etwa 100 Personen zu besetzen. An der Sektion Pädagogik der Humboldt-Uni sprach sich gar der FDJ-Sekretär der Studiengruppe („Er soll Sympathisant von Solidarnoćś sein“) für den Erhalt der Gasometer aus. „Die einzig noch verbliebene Genossin“, heißt es im Bericht des IM „Renn“, befürchte ihre Exmatrikulation aus der Studiengruppe, „wenn sie sich weiterhin gegen politisch falsches Auftreten in ihrem Bereich wende.“
Der Beginn des zivilen Ungehorsams
Daß all die Proteste ohne Erfolg blieben, meint Conny Kirchgeorg, „war nicht so schlimm, weil die Erfahrung, sich zur Wehr zu setzen, etwas ganz Neues war“. Als an jenem 28. Juli schließlich um 14.05 Uhr die Gasbehälter gesprengt wurden, blieb ein Stumpf mit einer Birke darauf stehen. „Ein alter Mann“, erinnert sich Conny Kirchgeorg, „hatte damals gesagt, das sei ein Zeichen der Hoffnung. Lange würden die das mit uns nicht mehr machen.“ Der spätere Redakteur der oppositionellen Umweltblätter Wolfgang Rüddenklau, sieht die Aktivitäten ein Jahr vor Beginn von Perestroika und Glasnost als ersten größeren Protest über die damalige Opposition hinaus. „Sie haben die Gasometer weggesprengt und ein Symbol geschaffen.“
Im Kapellengebäude des Prenzlauer Berg Museums, Prenzlauer Allee 75, ist noch bis Ende April die Ausstellung „kohlendreck – gasanstalt – thälmannpark – staatsgewalt“ zu sehen.
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