: Green-Pisser gegen Siemens
Der Konzern soll ein subventioniertes Grundstück im Hochtechnologiezentrum bekommen – fürs Dentaldepot und ähnliches ■ Aus Bremen Klaus Wolschner
Auf der Anklagebank im Bremer Amtsgericht saß am Dienstag vormittag ein 70 Jahre alter Mann, Gerold Janssen, Rentner, früher Steuerprüfer. Ohne Anwalt war er gekommen. Die Verhandlung war kaum zehn Minuten alt, da hatte er den Gerichtssaal zum Tribunal gegen die Firma Siemens gemacht. „Senat zahlt 4 Millionen für Mord an der Natur in Uni-Ost für Siemens AG“, hatte er in großen Lettern an eine Mauer des Autobahnzubringers gemalt. Das Stadtamt wollte ihm für diese „Ordnungswidrigkeit“ den Höchstsatz abnehmen: 500 Mark. Ein „politischer Preis“, sagte Janssen dem Gericht, und der Richter gab ihm recht: Bei der Festsetzung der Bußgelder gelte das „Opportunitätsprinzip“, nicht aber ein „verkapptes Opportunismusprinzip“, meinte er.
Der Höchstsatz schien dem Gericht unverhältnismäßig. Es ermäßigte die Buße auf 150 Mark – auch im Hinblick darauf, daß in anderen Fällen Sprüh-Aktionen von Bürgerinitiativen von den Behörden nicht verfolgt werden.
Aber wenn es um den deutschen Technologie-Konzern Siemens geht, gelten eben andere Gesetze. Genau das ist Janssens Thema seit Monaten. Der Siemens-Konzern will seine 13 über das Bremer Stadtgebiet verstreuten Betriebe mit eineinhalbtausend Beschäftigten konzentrieren, um Kosten zu sparen und rationalisieren zu können. Die Stadtgemeinde versprach dem Konzern vor Jahren, noch in der SPD-Ära, ein wertvolles Grundstück im Hochtechnologie- Park an der Universität – obwohl die Bremer Siemens-Abteilungen, vom Dentaldepot bis zum Telefonserviceladen, mit Hochtechnologie herzlich wenig zu tun haben.
Aber an die Zusage aus absoluten SPD-Zeiten fühlt sich auch, und das ärgert den Umweltschützer besonders, der grüne Senator für Stadtentwicklung, Ralf Fücks, gebunden. „Ich war einmal für die Ampel, aber nicht so“, sagt Janssen. Vor einem Jahr hat der rüstige Rentner von Fücks das Bundesverdienstkreuz überreicht bekommen – für sein Umweltengagement. „Gerold“ ist schließlich nicht umsonst einer der bekanntesten Bremer.
Jetzt hat er für den Siemens- Konzern einen „Kompromiß-Vorschlag“ entwickelt, nach dem ein Teil der Fläche als Naturwildnis frei bleiben soll. Denn es handele sich um ein ökologisch wertvolles Gebiet, eine klimatisch wichtige Frischluftschneise, einen „Erlebnisraum“ für die Kinder, die dort ihr Paradies gefunden hätten.
Während der Bremer Senator für Stadtentwicklung mit der norddeutschen Niederlassung spricht, verhandelt der Umweltschützer gleich mit der Konzernspitze in München. Zwei Machtmittel hat er: Erstens kann er drohen mit einer erheblichen Verzögerung der Genehmigungsverfahren. Allein 1.150 formgerechte Einsprüche hat er gegen die Verfüllung von Wassergräben organisiert. Sein zweites Druckmittel: Er will dafür sorgen, daß der Name Siemens in der Bremer Region einen ganz schlechten Ruf bekommt. Deswegen die Parole von der Naturzerstörung am Autobahnzubringer.
„4 Millionen ist falsch, 9 Millionen zahlt Bremen“, klärte Janssen das Gericht über die Erschließungskosten des Feuchtgebiets auf. „Aber vielleicht läßt sich das verbessern. Noch steht die Parole ja.“ Und dann erzählte er haarklein, wie er gearbeitet hatte: In der ersten Nacht waren sie zu dritt und bearbeiteten die Wand mit weißer Farbe. Die Parole malte der Rentner dann allein. „Ich bin ein Green-Pisser“, sagte er, „ich arbeite wie Greenpeace, aber ohne Organisation und ohne Geld.“ Die Polizei kam, unterbrach ihn bei der Arbeit an der Parole („Ach Sie, Herr Janssen“). Der 70jährige schlug sich ins Gebüsch, bis sie weg war, malte weiter.
Als Anfang des Monats in München Hauptversammlung des Konzerns war, war Janssen wieder vor Ort. „Ich bin Siemens-Aktionär“, erklärte er dem Gericht, „ich will, daß Siemens etwas Gutes macht.“ Morgens stand er als einer der ersten am Einlaß, kam auf die Rednerliste, stellte sachlich seine Fragen. Sogar die FAZ berichtete darüber. Und weil Vorstandschef Pierer auf die Fragen, ob es ein Siemens-Unternehmensziel sei, mit Naturflächen sparsam umzugehen, nicht antwortete, ging Janssen vor Gericht, die Aktiengesellschaft an ihre Auskunftspflicht zu erinnern.
Im März, so hat die Konzernzentrale auch dem Bremer Senat zugesagt, wolle sie den Janssen- Kompromißvorschlag für eine reduzierte Bauweise prüfen. Offenbar hat man es bei Siemens nicht so eilig, ein Bauantrag liegt auch noch nicht vor. In der Konjunkturflaute tut sich auch Siemens schwer, für die Zukunft zu bauen. Nur: So billig wie im Technologiepark bekommt man nicht alle Tage ein Grundstück. 130 Mark kostet der Quadratmeter.
Der FDP-Wirtschaftssenator in der Bremer Ampelkoalition will einen weiteren Erfolg des Umweltschützers verhindern. Wenn Siemens seinen Frieden mit Janssen macht und mit einer kleineren Fläche auskommt, dann soll der so gewonne Platz anderen Firmen angeboten werden.
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